Süddeutsche Zeitung

Olympia-Attentat:Gedenken per Mausklick

Lesezeit: 3 min

Ein "digitaler Erinnerungsort" soll die Geschehnisse rund um die misslungene Geiselbefreiung beim Olympia-Attentat 1972 auf dem Brucker Fliegerhorst beleuchten. Die Kreisräte sind voll des Lobes, auch wenn Tower und Rollfeld noch lange nicht zugänglich sind

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Der Erinnerungsort an das Olympia-Attentat auf dem Fürstenfeldbrucker Fliegerhorst 1972 kann Gestalt annehmen, zumindest in seiner digitalen Form. Der Kreiskulturausschuss befürwortete das Grobkonzept und beauftragte die Kreisverwaltung mit dessen Planung und Umsetzung. Die digitale Präsentation im Internet soll bis zum 50. Jahrestag des Attentats im September 2022 fertig sein.

Später soll ein authentischer Erinnerungsort im denkmalgeschützten alten Tower und auf dem Rollfeld des Brucker Fliegerhorstes entstehen. Die Liegenschaft wird derzeit noch als militärischer Sicherheitsbereich in Bundeseigentum geführt und steht erst mit dem Abzug der Bundeswehr von 2023 an zur Verfügung. In den Planungen der Stadt Fürstenfeldbruck, die dort 200 Hektar zu einem neuen Stadtteil entwickeln möchte, ist der Bereich um den Schauplatz des Attentats als "Baugebiet für den Gemeinbedarf/kulturelle Zwecke" ausgewiesen. Weil ein Erinnerungsort dort erst zum September 2027 fertig sein könnte, hat man sich für zwei Bausteine - digitaler und authentischer Erinnerungsort - entschieden, die getrennt voneinander eingerichtet werden können.

Von den Kreisräten gab es viel Lob für das Vorgehen. "Erinnerung lebt von authentischen Orten", sagte Andreas Lohde (CSU) in der Sitzung. Der Landkreis nehmen sich dessen an, "das ist anerkennenswert". Auch FW-Kreisrat Johann Thurner befand es für richtig, dass man nun eine Art "Zwischenlösung" gewählt habe, weil die eigentliche Gedenkstätte noch nicht zur Verfügung stehe. Klaus Wollenberg (FDP) schwärmte von einem "digitalen Erinnerungsort" als "zeitgemäßer Idee und hoch innovativer Sache", vor allem auch unter dem Aspekt, dass "es an Originalexponaten fast nichts gibt, abgesehen vom Ort des Geschehens". Projektleiterin Jutta Remsing und die Historikerin Angelika Schuster-Fox als wissenschaftliche Leiterin des Konzepts saßen unter den Zuhörern und nahmen das Wohlwollen der Kreisräte kopfnickend zur Kenntnis.

Landrat Thomas Karmasin (CSU) freute sich über "das Plazet, dass wir grundsätzlich auf dem richtigen Weg sind", erinnerte aber an die schwierige finanzielle Umsetzung. Demnach ist es nicht einfach, an Zuschüsse von übergeordneten politischen Stellen zu kommen. Angesichts der nationalen und internationalen Bedeutung des Erinnerungsortes mahnte auch Wollenberg die Notwendigkeit an, dass Freistaat und Bund "finanziell einsteigen" müssten. Die Kosten für den "digitalen Erinnerungsort" werden mit 850 000 Euro beziffert, Nutzungsänderung und Sanierung von Tower und Rollfeld derzeit auf etwa 3,1 Millionen Euro geschätzt. Karmasin erinnerte auch daran, dass der Landkreis im Jahr 2012 reichlich Lob bekommen hatte für die Ausrichtung der zentralen Gedenkveranstaltung zum 40. Jahrestag des Attentats. Damals nahmen neben nationalen und internationalen Repräsentanten aus Politik, Wirtschaft, Sport und Gesellschaft auch Angehörige der Opfer und jene Sportler der israelischen Olympiamannschaft teil, die den Überfall überlebt hatten. Bald danach beschloss der Kreistag, einen eigenen Erinnerungsort in Fürstenfeldbruck zu entwickeln. Der sollte wegen seiner besonderen Rolle als Originalschauplatz die Errichtung des Gedenkortes in München quasi flankieren. Der Erinnerungsort im Münchner Olympiapark wurde vorigen September der Öffentlichkeit übergeben.

Mit dem Terroranschlag auf die israelische Olympia-Mannschaft und der gescheiterten Befreiungsaktion auf dem Fliegerhorst war auch Fürstenfeldbruck am 5. September 1972 schlagartig ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit gerückt. Als Erinnerung lediglich eine Website im Internet einzurichten, war den Machern deshalb zu wenig. Stattdessen soll nun ein "digitaler Erinnerungsort" kuratierte Inhalte, die mittelbar oder unmittelbar mit dem Attentat zusammenhängen, multiperspektivisch präsentieren: mit Filmen, Fotos, Texten und Zeitzeugeninterviews. Er soll als Erinnerungs-, Kultur- und Bildungseinrichtung Besuchern einen wissenschaftlichen, didaktischen und bisweilen auch einfachen Zugang zu der ernsten Thematik des Attentats bieten. Er könne kostenfrei und ohne Zugangsbeschränkungen weltweit und jederzeit besucht werden, heißt es im Konzept dazu. Der "digitale Erinnerungsort" soll auch ein Bildungskonzept beinhalten, das mit einzelnen Bausteinen auf unterschiedliche Nutzergruppen abgestimmt werden kann. Besonderes Augenmerk will man dabei auf die Schulen legen.

Inhaltlich soll in Ergänzung zum Münchner Erinnerungsort der Verlauf des Attentats rekonstruiert werden, davon vor allem jene Ereignisse, die in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Brucker Fliegerhorst stehen. Erzählt werden sollen die Biografien der getöteten elf israelischen Sportler und des bei dem Einsatz ums Leben gekommenen deutschen Polizisten, um den Opfern so ein Gesicht zu geben. Weitere Schwerpunkte in der digitalen Gestaltung sollen die nationale und internationale Positionierung Münchens, Bayern und Deutschlands zum Zeitpunkt der Olympischen Spiele 1972 sein, die bewusst einen Kontrapunkt zu den nationalsozialistischen Spielen von 1936 in Berlin setzten und München als offene und freundliche Metropole zeigten. Weitere Themenbereiche der digitalen Präsentation sind die politische Lage, der arabisch-israelische Konflikt, die deutsch-israelischen Beziehungen, die Folgen des Attentats für das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung, der Wandel der gesellschaftlichen und politischen Relevanz des Sports und die Medialisierung von Terror und Terrorismus. Zudem werden Berichte von Zeitzeugen abrufbar sein.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4044002
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 07.07.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.