Es wird dunkel draußen auf dem Vorfeld, und aus dem weichen Mischlicht im Foyer des alten Towers im Fliegerhorst Fürstenfeldbruck wird eine harte, kalte Beleuchtung. Sie beleuchtet das zunehmende Entsetzen, die Wut und die Scham, die sich in vielen Gesichtern der Zuhörenden dieses Abends, unter ihnen die israelische Generalkonsulin Carmela Shamir, widerspiegelt. Entsetzen, Wut und Scham über das Versagen der deutschen Behörden bei der Lösung der Geiselnahme israelischer Sportler durch palästinensische Terroristen während der Olympischen Spiele von 1972. Am Schauplatz der versuchten und letztlich gescheiterten Geiselbefreiung wagt der Historische Verein Fürstenfeldbruck eine Gedenkveranstaltung, die die Frage nach dem Warum stellt. Am Ende, als es um den Tower herum dunkel ist, gibt es eine erschreckende Erkenntnis.
Eine Lesung mit Musik soll die Gedenkveranstaltung sein, die der Historische Verein für den Tag nach dem Staatsakt auf dem Fliegerhorst angekündigt hat. Die etwas 60 Besucherinnen und Besucher müssen sich aus Sicherheitsgründen Wochen vorher anmelden und werden bis zum Beginn der Veranstaltung von Ulrike Bergheim völlig im Unklaren gelassen, was auf sie zukommt. Bergheim ist die Vorsitzende dieses rührigen Vereins, aber sie bestreitet den Abend nicht selbst, sie hat Mitstreiter, wenn es darum geht, einen solchen Abend aufzuziehen, wenn es um den Besuch von jungen israelischen Sportlerinnen und Sportlern geht, wenn es um die Zukunft eines Erinnerungsortes in Fürstenfeldbruck geht, der diesen Namen auch verdient.
An diesem Septemberabend treten Bergheim und ihr Team erneut den Beweis an, warum der alte Tower so wertvoll für die Erinnerungsarbeit und das Gedenken an die Opfer wäre. Die Authentizität ist sichtbar, sie ist fühlbar, sie ist greifbar. Das erkennen nicht nur die Zuhörerinnen und Zuhörer, von denen etliche zur Zeit der Münchner Spiele junge Menschen waren. Es dürfte aber auch jungen Menschen in unserer Zeit deutlich werden, warum ein Ort wie dieser viel besser geeignet ist, Schlüsse aus der Geschichte zu ziehen, als jedes Tutorial auf Youtube oder jede gestreamte Doku oder ein digitaler Erinnerungsort. So ein Raum funktioniert dann am besten, wenn Zeitzeugen berichten. Aber die Aussicht, dass sich der Abzug der Bundeswehr und die Zivilisierung des Militärgeländes noch Jahre hinziehen wird, macht nicht viel Hoffnung, dass die, die Auskunft geben könnten, dann überhaupt noch kommen.
Die Namen der Zeugen werden nicht genannt
Viele Besucher der Gedenkveranstaltung haben die Olympischen Spiele von München noch gut im Gedächtnis. Sie wissen, wo sie sich am elften Tag der Wettkämpfe aufgehalten haben, als die heiteren Spiele zerschossen wurden. Für die Lesung mit mehreren Sprecherinnen und Sprechern, darunter die Grünen-Landtagsabgeordnete Gabriele Triebel, der Polizei-Dozent Sebastian Allertseder, Ulrike Bergheim und der Zeitzeuge Hans Völkl, haben die Mitglieder des Historischen Vereins die Zeugenaussagen eines Ermittlungsverfahrens gegen den damaligen Münchner Polizeipräsidenten Manfred Schreiber gesichtet und der jeweiligen Tageszeit des 5. September zugeordnet. Die Namen der Zeuginnen und Zeugen, sagt Ulrike Bergheim erläuternd, würden nicht genannt, lediglich die von bekannten und zeithistorisch relevanten, Franz-Josef Strauß, zum Beispiel. Und es gibt Musik. Die Akkordeonstücke, die Simon Japha zwischendurch spielt, vermögen während der anderthalbstündigen Performance die kurzen Pausen zu schaffen, in denen die Zuhörer zum Durchatmen und Innehalten kommen.
Denn mit jedem zitierten Satz, mit jeder weiteren Aussage der Augenzeugen von damals lässt sich erahnen, wie der Anschlag von München eskaliert, wie sich die Handelnden mit jeder Stunde jenes Tages näher auf die Katastrophe zu bewegen, die dann in Fürstenfeldbruck zu Ende geht. Es ist, auch weil die Zitate in jenem schnörkel- und empathielosen Stil der Ermittlungsprotokolle vorgetragen werden, ein mehr als spannender Prozess, den das Publikum im Tower mitmacht. Denn allmählich wird es draußen dunkel, und man könnte sich, wenn man jetzt auf dem Vorfeld stünde, gut vorstellen, wie das von den Geiselnehmern geforderte Flugzeug auf der Rollbahn aufsetzt, wie die drei Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes Fürsty anfliegen, wie die Nervosität der eingesetzten Polizeibeamten zunimmt - und die Angst, etwas falsch zu machen.
Aber an diesem 5. September, als um 22.35 Uhr zwei Hubschrauber mit den Terroristen und den Geiseln sowie ein dritter mit dem Verhandlungsteam in Fürstenfeldbruck eintreffen, sind bereits so viele Fehler von den Verantwortlichen gemacht worden, dass das Unterfangen, die Terroristen kampfunfähig zu machen und die israelischen Sportler zu befreien, eigentlich nur noch scheitern kann. Aus den Aussagen der Polizeibeamten, die ohne spezielles Training, unzureichend ausgerüstet und zum Teil ohne wichtige Informationen diese Aufgabe erledigen sollen, ist dieses Versagen der politischen und der polizeilichen Führung herauszulesen.
Und dann kommt auch noch Franz-Josef Strauß
Die Vortragenden des Historischen Vereins interpretieren diese Sätze nicht, sie betonen nicht ausdrücklich Passagen, sie sprechen sie lediglich nach. Und bauen damit eine Beklemmung auf, die bei einigen im Publikum dazu führt, den Kopf über das Unvermögen zu schütteln, die Hand vor den Mund zu halten oder tief durchzuatmen und Tränen zu verdrücken. Bei Aussagen, wie etwa dieser: "Nach zwei bis drei Minuten verstummten die Feuerstöße aus Richtung der Hubschrauber. Es war völlig still, ich hörte lediglich den Ruf 'Da unten stirbt einer!', gemeint war damit der Polizeibeamte Fliegerbauer, der an der Eingangstüre des Towers getroffen wurde."
Ein Augenzeuge des Massakers und des Todes von Anton Fliegerbauer ist Hans Völkl, der als Vortragender teilnimmt. Er ist in diesem Jahr zum ersten Mal wieder in den Fliegerhorst zurückgekehrt, wo er als junger Unteroffizier der Luftwaffe Dienst tat. In der Nacht vom 5. auf den 6. September hat er seinen Arbeitsplatz in jenem Vorraum, wo die Lesung stattfindet. Völkl liest die Aussage eines Zeugen ohne Namen vor, und es kostet den 71-Jährigen offenbar viel Kraft. Er schildert die Eindrücke eines Luftwaffenangehörigen, der er sein könnte. Es sind die Eindrücke, die er hat, als zwei schwer verletzte Terroristen nach Mitternacht vom Vorfeld in den Vorraum des Towers geschleppt worden waren. Draußen lagen neun ermordete israelische Geiseln in den Hubschraubern und ein Polizist war gestorben, in München hatten die Terroristen bereits zwei Sportler getötet. Das Massaker von München, wie es international bezeichnet wird, ist vorbei. Doch dann passiert noch das, was Völkl aus den Protokollen zitiert: "Dann stand plötzlich Franz-Josef Strauß (damals CSU-Vorsitzender, Anm. d. Red.) neben mir. In gebückter Haltung beschimpfte er die beiden Terroristen mit seiner unglaublichen Stimmgewalt."