Olching:Obdachlos auf Zeit

Eine Olchinger Familie verliert durch eine Zwangsräumung ihre Wohnung und muss in eine Notunterkunft ziehen. Die Stadt verschafft ihr jetzt acht Wochen Zeit, sich eine neue Bleibe zu suchen

Von Ariane Lindenbach

Groebenzell: Trauriges Haus

Die Eltern hatten lange Zeit, um für sich und ihre Kinder eine neue Wohnung zu suchen. Doch eine neue Bleibe fanden sie nicht.

(Foto: Johannes Simon)

Waren sie nachlässig oder einfach unbeholfen und hatten auch noch Pech? In jedem Fall wirft das Schicksal der Familie Eckl (Name geändert) Fragen auf und macht betroffen: Eine Olchinger Familie mit zwei Kindern, sieben und zehn Jahre alt, verliert vorige Woche ihre Wohnung durch Zwangsräumung. Nicht unerwartet und plötzlich, nicht einmal juristisch angreifbar. Dennoch stellen sich Fragen. Hätte es keine Alternativen gegeben? Zumal die Familie nach eigenen Angaben schon im Frühjahr bei den Behörden auf ihre Situation aufmerksam gemacht hat. Dann, als sich Kirche und Presse einschalten, geht plötzlich alles ganz schnell: Die Stadt Olching treibt innerhalb weniger Tage eine vorläufige Unterkunft für die Eckls auf.

Den Mittwoch, als sie ihre Wohnung verloren haben, werden die erwachsenen Eckls wohl nicht mehr vergessen. Vor ihren Kindern haben sie versucht, alles zu verbergen. Die sind jetzt bei den Großeltern in Chemnitz, die Eltern sind in letzter Minute dank Mitarbeitern der Stadt Olching und der Gemeinde Gröbenzell in einer Pension in Gröbenzell untergekommen, wo die Gemeinde ihre Obdachlosen unterbringt. Kommunen müssen dafür Sorge tragen, dass Obdachlose aus ihrem Gemeindegebiet ein Dach über dem Kopf bekommen. In Eckls Fall gab es in Olching, wo sie zuletzt gewohnt haben, keine Unterbringungsmöglichkeit, deshalb Gröbenzell. Am Donnerstag sitzt das Ehepaar mit dem Familienhund, einem Beagle, in einem Zimmer mit fünf Stockbetten und einem niedrigen Tisch in der Mitte; auch andere, fremde Menschen leben dort. Die 36-jährige Martina Eckl sitzt im Schneidersitz auf dem Boden, der Ordner vor ihr auf dem Tischchen ist voll mit Dokumenten über die Vorgänge, die sie in die jetzige Situation gebracht haben. Sie schaut aus, als hätte sie die ganze Nacht geweint. Sie schnieft und sagt: "Ich komme mir ziemlich hilflos vor."

Sie hätten nicht einmal Mietschulden, sagt Martina Eckl. Dennoch war die Zwangsräumung weder ungerechtfertigt noch rechtlich angreifbar. Sie ist das Ergebnis eines Rechtsstreits der Eckls mit ihrem Vermieter, der von dem Olchinger Rechtsanwalt Matthias Zachmann vertreten wird. Der spricht sehr wohl von säumigen Zahlungen, die sein Mandant von der Familie eingefordert habe. Die Eckls ihrerseits bemängelten den Schimmelbefall in der Vier-Zimmer-Wohnung. Auf den Rat eines Anwalts hin habe man die Miete gemindert, berichtet die 36-Jährige. Sie erzählt, der Schimmel sei 2009, etwa zwei Jahre nach ihrem Einzug, zunächst in der Küche aufgetreten, dann trat er auch im Kinderzimmer und elterlichen Schlafzimmer auf. Die Wand zwischen Kinderzimmer und Bad sei so nass gewesen, dass sie einmal im Jahr neu verputzt hätten, erzählt die 36-Jährige. Vor Gericht, betont hingegen Zachmann, "sind überhaupt keine Mietmängel anerkannt worden". Wie er erläutert, habe man im Dezember 2012 einen Vergleich geschlossen, der im Januar vom Amtsgericht bestätigt wurde. Demnach sollten die Eckls bis Ende August 2013 aus der Wohnung ziehen, der Vermieter hätte dann noch 7000 Euro für Aufwendungen wie den Umzug oder eine Kaution gezahlt. Die monatliche Miete sollte bei den reduzierten 650 Euro bleiben.

Das Problem: Die Familie fand keine andere Wohnung. Schon seit November 2012 habe man gesucht, doch für die wenigen bezahlbaren Alternativen stets Absagen bekommen. Entweder störten die Kinder oder der Hund oder die unsicheren Einkommensverhältnisses. Denn der Familienvater, 43 Jahre alt und Elektriker, wurde im letzten Jahr wegen Komplikationen nach einer Operation arbeitsunfähig. Zeitweise bezog er eine Rente, dann Hartz IV. Also wandte sich die Familie wegen einer Sozialwohnung an die Behörden. Vom Landratsamt wurden sie nach Olching geschickt, weil die Kreisbehörde zwar für die Sozialwohnungen zuständig ist. Die Anträge müssen aber bei der Heimatkommune gestellt werden. Dort hieß es, es gebe keine freien Wohnungen. Wenn Martina Eckl von ihren Bemühungen erzählt, erinnert das ein bisschen an Karl Valentins Buchbinder Wanninger. Die Frau wirkt etwas unbeholfen, so, als wäre sie nicht hartnäckig genug, würde sich zu schnell abwimmeln lassen und so, als würde sie in dem Paragrafen-Dickicht nicht immer ganz durchblicken.

Darüber hinaus gibt es verschiedene Aussagen darüber, wann die Behörden von der bevorstehenden Zwangsräumung erfuhren. Laut Martina Eckl bekam sie im April den Bescheid für einen Wohnungsberechtigungsschein. "Die Familie ist sehr knapp bei uns vorstellig geworden", sagt hingegen Jürgen Koller, Geschäftsleiter im Rathaus. Am 24. Oktober, also einen Tag nach der Räumung und zwei nachdem Freunde der Eckls die evangelische Pfarrersfrau und die Presse eingeschaltet hatten, schrieben Olchings Bürgermeister Andreas Magg und sein Stellvertreter Robert Meier beide eine E-Mail an die Familie, drückten ihr Bedauern aus und versprachen Unterstützung. Und monierten, dass die Eckls erst Ende August mit ihrem Problem ins Rathaus gekommen seien. Die 36-Jährige wird wütend, wenn sie das hört, widerspricht und zählt einige Besuche auf dem Rathaus seit diesem Frühjahr auf, stets habe es geheißen, es gebe keine freien Wohnungen. Astrid Peschke, für das Wohnungswesen der Stadt zuständig, bestätigt: "Wir haben in der Regel nie etwas frei."

Ebenfalls strittig ist, wie viele Anstrengungen die Eckls unternommen haben, um eine neue Bleibe zu finden. Zachmann jedenfalls sagt: "Dass ein Räumungsschutzantrag mit zwei Kindern vom Gericht zurückgewiesen wird, hat seine Gründe." Der Anwalt meint, die Familie habe viel zu spät mit der Suche begonnen. Martina Eckl zeigt dagegen eine Liste, die sie bei Gericht im Zusammenhang mit dem Räumungsschutzantrag vorgelegt habe. Darauf stehen Monate und Ortschaften: die unternommenen Versuche, eine Wohnung zu finden. Die Liste beginnt im November 2012 und endet im August, pro Monat sind es zwei bis zehn Orte. Jedenfalls verstrich der August, ohne dass die Familie eine Wohnung in Aussicht hatte. Da der Räumungsschutzantrag zurückgewiesen wurde, erfolgte die Zwangsräumung. Zwei Tage zuvor, am Montagabend informierten Freunde den evangelischen Pfarrer Sauer, dessen Frau und eine Lehrerin des Sohnes waren am Dienstag bei der für Obdachlosigkeit zuständigen Stelle im Rathaus. Unverändert hieß es von dort zwar, dass es keine leeren Wohnungen gibt. Auch am Freitag sprach Peschke noch davon, dass man zwei Möglichkeiten prüfen werde. Am Montagmittag dann der Anruf aus dem Rathaus: Für acht Wochen könne die Familie in einer Wohnung unterkommen. Martina Eckl ist die Erleichterung anzuhören: Ihre Kinder können zurückkehren und weiter die Schule besuchen. "Und wir können weiter nach einer Wohnung suchen", sagt sie. Da beide inzwischen wieder arbeiten und über einige Tausend Euro netto verfügen, sollten ihre Chancen besser stehen.

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