Süddeutsche Zeitung

Mischehen in der NS-Zeit:"Ganze Familien begingen Selbstmord"

Die Historikerin Susanne Meinl erzählt, wie Paare in "Mischehen" während der NS-Zeit mit dem enormen Druck des Staates umgingen. Zu den berühmtesten Fällen gehörten die Schauspieler Heinz Rühmann und Hans Moser.

Interview von Peter Bierl, Olching

Die Nationalsozialisten haben Ehen zwischen sogenannten Ariern und Menschen, die sie als Juden markierten, verboten. Existierende "Mischehen" standen unter massivem Druck, boten jüdischen Partnern aber manchmal einen gewissen Schutz. Die Historikerin Susanne Meinl stellt Fälle aus dem Landkreis sowie prominente Paare am Donnerstag bei der Volkshochschule in Olching vor.

Durch die Nürnberger Rassengesetze vom Herbst 1935 wurden neue Mischehen verboten. Wie viele solcher Verbindungen existierten zu dem Zeitpunkt?

Susanne Meinl: Es gibt keine sichere Zahl, es dürften zwischen 15 000 und 35 000 Paaren gewesen sein. Den Begriff Mischehe gab es schon vorher, das bezog sich auf konfessionell gemischte Paare. Die Nationalsozialisten erklärten 1933 Menschen aufgrund ihrer vermeintlichen Rassenzugehörigkeit zu Juden, auch wenn sie mit der jüdischen Religion nichts zu tun hatten, weil sie Atheisten oder getauft waren. Die Hetze gegen gemischte Paare setzte sofort ein, etwa im Stürmer oder im Völkischen Beobachter. Einzelne Standesämter ließen in vorauseilendem Gehorsam oder aus Überzeugung keine Aufgebote von "Ariern" und Juden mehr zu.

Haben diese Ehen den jüdischen Partnern einen gewissen Schutz geboten?

Ja, aber nur bedingt, und der Druck war enorm, sich scheiden zu lassen. Die jüdischen Partner verloren ihre Arbeit und lebten isoliert zu Hause.

Wie reagierten die Betroffenen?

Ganze Familien begingen Selbstmord oder versuchten zu flüchten, andere versuchten es mit Tricks. Im Fall einer Familie aus dem Landkreis entwickelte ein Münchner Rechtsanwalt die Idee, dass der "arische" Mann die Scheidung einreichte und die jüdische Frau Widerspruch erhob, der Rechtsstreit zog sich jahrelang hin. Formal war das Paar von Tisch und Bett getrennt, lebte aber unter einem Dach mit den Kindern. Als das Procedere nicht mehr verfing, hat er seine Frau versteckt. Sie haben überlebt, waren jedoch traumatisiert. Eine andere Strategie war, dass sich das Paar scheiden ließ, aber weiter zusammenlebte, und die jüdische Frau eine Scheinehe mit einem Ausländer einging. Das war der Fall bei Heinz Rühmann.

Das hatte aber Grenzen, und manche haben sich getrennt.

Rühmann hatte erst die Protektion von Goebbels, dann ließ er sich 1938 von Maria Bernheim scheiden, die den schwedischen Schauspieler Rolf von Nauckhoff heiratete. Allerdings war die Ehe zwischen Rühmann und Bernheim schon vorher zerrüttet, er wollte sie schützen. Ein bekannter Fall ist die Ärztin Lilly Jahn, deren Mann sich 1942 scheiden ließ. Sie wurde 1944 in Auschwitz ermordet.

Wie kamen Sie auf das Thema?

Als Historikerin beschäftige ich mich seit 20 Jahren mit solchen Themen. Ich war mit der Tochter eines Mannes befreundet, der aus einer solche Ehe stammte. Das wirkt bis in die dritte Generation nach. Mich hat es beeindruckt, dass die Liebe dieser Menschen so lange gehalten hat, trotz dem enormen Druck.

Der Vortrag "Liebe in den Zeiten des Hasses" von Susanne Meinl findet am Donnerstag, 5. Mai, um 19.30 Uhr in den Räumen der Volkshochschule Olching, Hauptstraße 82, statt, eine Anmeldung ist erforderlich.

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