Olching/München:Rätselhafte Messerattacke

Marc S. ist vor dem Landgericht München I unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt.

Vor dem Landgericht München II wird der Fall verhandelt.

(Foto: dpa)

Weshalb hat ein 55-JährigerAnfang März seine Frau und deren Freundin angegriffen? Das Landgerichtsucht seit Montag nach einem Motiv in dem Mordprozess

Von Ariane Lindenbach, Olching/München

Was hat einen 55-Jährigen dazu veranlasst, mit einem 39 Zentimeter langen Küchenmesser am helllichten Nachmittag im Olchinger Zentrum auf seine Frau und deren Freundin loszugehen? Diese Frage steht im Mittelpunkt eines Prozesses wegen versuchten Mordes, der am Montag vor dem Landgericht München II begonnen hat. Zum Auftakt des auf insgesamt vier Tage angesetzten Prozesses legte der seit der Tat Anfang März in Untersuchungshaft sitzende Angeklagte ein Geständnis ab. Bei den beiden attackierten Frauen, die glücklicherweise damals nur leicht verletzt wurden, hat er sich längst entschuldigt. Und ihnen bis kurz vor Beginn des Verfahrens insgesamt 14 000 Euro Schmerzensgeld bezahlt.

Der Angriff im Frühjahr - wegen Corona gilt seit drei Monaten eine nächtliche Ausgangssperre - zieht von Anfang an viel Aufmerksamkeit auf sich. Nach wenigen Minuten wird er durch Passanten und die alsbald eintreffenden Polizeikräfte beendet. Er passiert nur wenige Meter von der belebten Olchinger Hauptstraße entfernt, gegenüber einem Supermarktplatz. In den sozialen Medien wird der aufsehenerregende Polizeieinsatz schnell zum Thema. Erfreulich ist, dass es im Gegensatz zu den sonst gerade auf solchen Kanälen gerne praktizierten wilden Spekulationen dort sehr sachlich zugeht.

Nun ist der Verantwortliche, auf den Tag genau sieben Monate nach seinem Angriff, selbst vor Gericht anwesend. Doch die wichtigste Frage zum Geschehenen - eine Erklärung für sein Verhalten - kann der als Gastronom tätige, im Landkreis lebende Angeklagte nicht liefern. Er beteuert sein Bedauern und begründet seine damalige Aggressivität mit seinem Alkoholkonsum. Doch ein Motiv, weshalb er laut Zeugenaussage mit dem großen Messer - die Klinge ist 25 Zentimeter lang - seine Frau abgepasst hat, kann er nicht nennen.

Im Grunde klingt die Erklärung des 55-Jährigen im Gerichtssaal nicht wesentlich anders als seine Briefe, schriftliche Entschuldigungen, die er Anfang Mai an die beiden Opfer geschrieben hat - und deren Inhalt der Vorsitzende Richter Thomas Bott am Montag im Gerichtssaal verliest. "Ich war an diesem Tag nicht Herr meiner Sinne", schreibt er im Anschluss an eine aufrichtig klingende Entschuldigung. Über Jahre habe er zuviel Alkohol konsumiert und damit nicht nur sich selbst, sondern auch der Beziehung geschadet. Der 55-Jährige beschwört außerdem seine Entschlossenheit zu einer Entziehungskur, "damit so etwas nie wieder passiert".

Die beiden Geschädigten, die 43 Jahre alte Ehefrau und ihre 20-jährige Begleitung, haben die Entschuldigung akzeptiert und im September eine so genannte Schlichtungsvereinbarung mit dem Angeklagten getroffen, wie der Verteidiger betont. Neben einer Entschuldigung erhielt die Gattin 9000, ihre Freundin 5000 Euro, sozusagen als Schmerzensgeld für die erlittenen Verletzungen und den Schock. "Gemessen an den tatsächlichen Verletzungen sind das ganz ordentliche Beträge", findet der Vorsitzende. Die Frauen waren damals mit Schnittwunden im Gesicht, an Hals und Händen, ins Kreisklinikum Fürstenfeldbruck eingeliefert worden. Die Verletzungen waren nur oberflächlich, nicht lebensbedrohlich.

Zum Geschehen macht die Ehefrau keine Aussage. "Ich habe ihm schon verziehen", erklärt sie. Und bittet das Gericht in einer Verhandlungspause, mit ihrem Mann reden zu dürfen. Denn seit dem Angriff haben sich die beiden nicht mehr gesehen. Die 43-Jährige wirkt während dieses Gesprächs nicht so, als hätte sie Angst vor ihrem Mann oder als hätte das Geschehene eine unüberwindbare Kluft zwischen den beiden Ehepartnern aufgerissen.

Doch als ihre Freundin die Vorgänge vom 4. März detailliert schildert, spiegelt ihre Mimik schon so etwas wie Entsetzen wider. Ein Entsetzen, das alle Zuhörer im Gerichtssaal teilen, während die 20-jährige Zeugin berichtet, wie der Angeklagte mit dem Messer in der Hand die Beifahrertür aufriss und auf seine noch angeschnallte Frau einstach. "Ich habe am Anfang noch versucht, ihn abzuwehren, und dann kam schon der Mann mit der Brechstange", der den beiden Frauen half. Der Prozess dauert an.

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