Fürstenfeldbruck:Integration beim Fußball

Asylbewerber-Fußball

Dribblingseinheit auf dem Rasen des Gymnasiums Olching. In Hintergrund ist Georg Draude mit dem weißen T-Shirt zu sehen.

(Foto: Günther Reger)

Für die meisten minderjährigen Flüchtlinge in den Olchinger Wohncontainern gibt es momentan nur eine einzige attraktive Sportart. Mit liebevoller Unterstützung spielen sie zusammen im FC Refugee und lernen sich untereinander, aber auch ihre neue Heimat besser kennen

Von Christoph Leischwitz, Olching

Olching - Alles begann dort, wo auch viele große Fußballer-Karrieren ihren Anfang haben: auf dem Hartplatz. In Olching liegt er glücklicherweise keine 30 Meter entfernt von den weißen Containern in der Georgenstraße, in denen mittlerweile dauerhaft etwa 50 unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge untergebracht sind. Aufgrund der räumlichen Nähe wurde der Bolzplatz mit Kunststoffbelag für viele zu so etwas wie die allererste Heimat. Ein Ort also, an dem Fremdes vertrauter wird, wo man durch gemeinsames Erleben zusammenwächst.

Gleichzeitig ist der Platz auch bei den Einheimischen beliebt. Zehnjährige Schulfreunde aus dem Schwaigfeld treffen sich hier ebenso regelmäßig wie 35-jährige Nachbarschaftskumpels nach Feierabend. Somit ist der Platz auch zu einem Ort der Begegnung geworden. Wo man mit Flüchtlingen kicken kann, statt nur über sie zu reden.

Im Sommer formte sich eine Gruppe aus deutschen Jugendlichen und Flüchtlingen, die regelmäßig zusammen spielte. Eine der Deutschen war Johanna Draude, die auch im Verein in einer Jungenmannschaft Fußball spielt. Sie erzählte ihren Eltern davon. Ihr Vater Georg sah darin eine Chance. "Es geht darum, Flüchtlinge nicht nur zu verwalten, sondern sie zu integrieren", sagt er. Ein paar Wochen später war aus dieser Idee die Fußballmannschaft FC Refugee geboren. Draude leitet nun zwei Mal die Woche gemeinsam mit seiner Frau und weiteren freiwilligen Helfern das Training. "Das ist das Highlight", sagt der 16-jährige Mohamed aus Syrien, der auch im Container lebt. Seine Augen leuchten, wenn er über das gemeinsame Fußballspielen spricht. Er und die anderen Jungs seien sehr dankbar für die Möglichkeit, regelmäßig spielen zu können.

Dank Draudes Öffentlichkeitsarbeit erhielt der FC Refugee schnell weitere Unterstützung. Ein Olchinger Sportgeschäft stiftet Fußball-Zubehör wie Schienbeinschoner oder Torwarthandschuhe, ebenso private Spender. Ein Versicherungsbüro hat kürzlich Dutzende Fußballschuhe gestellt, der Bayerische Fußball-Verband (BFV) hat den Trikotsatz gespendet.

Es kann also losgehen. Es ist Mittwochnachmittag, 37 Jugendliche sind zum Training gekommen. Sie alle haben mehr oder weniger gut sitzende Fußballschuhe an, die verschiedenfarbigen Trikots sind mit SV Esting, SC Olching oder TSV Geiselbullach beflockt. Deren Jugendabteilungen sind zusammen in der JFG Amperspitz organisiert, die auch den FC Refugee aufgenommen hat und auf seinen Plätzen spielen lässt. Damit war eine große bürokratische Hürde gemeistert: Die Flüchtlinge sind jetzt über den BFV unfall- und haftpflichtversichert, wenn sie zusammen Fußball spielen.

Der 49-jährige Draude ist eigentlich kein Fußballtrainer, sondern Fitnesscoach, doch das stört die Jugendlichen überhaupt nicht. Vielleicht ist es sogar ganz gut, dass Draude keinerlei Ambitionen hat, Talente zu schmieden. Denn wer aus diesen Jungs übermotiviert eine ligataugliche Mannschaft formen will, hat es schwer: Es wird begeistert und wild durcheinander gelaufen und gerufen, Übungseinheiten wie Ballannahme-Dribbling-Torschuss bedürfen minutenlanger Erklärung. Und wenn das eigentliche Spiel beginnt, tummeln sich so viele auf dem Platz, dass kein Spielfluss aufkommen kann. Das ist freilich alles nebensächlich. "Denn Fußball ist die Sprache, die alle verstehen", sagt Draude, auch in diesem "geordneten Chaos". Der Fußball hat eine enorme Anziehungskraft, merkt Draude. Und weil alle diesen Sport so lieben, wirkt er integrativ. Zum Beispiel dadurch, dass immer auch deutsche Jugendliche mitspielen. Von ihnen lernen sie Verhaltensweisen jenseits der Spielregeln, die verbalen wie die nonverbalen. Das Training dient so auch als erweiterter Deutschunterricht, den die jungen Flüchtlinge mehrmals in der Woche in den Containern erhalten. Kein Jugendlicher würde das jemals sagen, doch das Leben in den Containern ist zwangsläufig ziemlich trostlos. Außerdem sind sich die Flüchtlinge untereinander oft auch fremd. Es entstehen schon allein aufgrund der hohen Fluktuation - kein Jugendlicher bleibt hier im Normalfall länger als acht Wochen - klare Hierarchien, an die sich nicht immer alle halten wollen. Doch das gemeinsame Fußballspielen lockert auf. "Klar gibt es bei uns auch mal Auseinandersetzungen. Aber es eskaliert nie", sagt Draude.

Für einige Talentierte hat die JFG Amperspitz schon Spielerpass-Anträge gestellt. Für sie kann der Verein eine dauerhafte Integrationsplattform werden, wenn sie längst aus dem Container ausgezogen sind und irgendwo anders im Landkreis leben. Für die anderen sucht man Gegner für Freundschaftsspiele und Trainingszeiten in der Halle für den Winter. Eine Fußballerkarriere wird wohl keiner von ihnen erleben. Doch ihnen allen ist das Land, in dem sie jetzt leben, dank einem Paar Fußballschuhe und einem Lederball jetzt nicht mehr ganz so fremd wie davor.

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