Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Zynisch und homophob

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Homosexuelle Menschen brauchen Anerkennung und keine falsch verstandene Barmherzigkeit für ihre angeblichen Sünden

Von Ingrid Hügenell

Nein, es ist nicht barmherzig, für Menschen zu beten, die innere Konflikte wegen ihrer Sexualität haben - nachdem man ihnen zuvor eingeredet hat, sie seien Sünder, wie es die Olchinger Freikirche X-Hope tut. Es ist nicht barmherzig, von Menschen zu verlangen, Teile ihrer Identität zu verleugnen. Das ist zynisch, homophob, es verursacht unnötiges Leid. Niemand wählt seine sexuelle Orientierung. Die krude Vorstellung, Homosexualität sei übertragbar oder müsse geheilt werden, ist unwissenschaftlicher Unsinn und inhuman. In letzter Konsequenz mündet diese Haltung in die Verfolgung von Homosexuellen oder von Menschen mit einer anderen Geschlechtsidentität.

Zu Konflikten mit der eigenen sexuellen Orientierung kommt es doch nur, weil Homosexualität noch immer viel zu oft als Sünde, als krankhaft, hingestellt wird. Kinder und Jugendliche, die in Gesellschaft und Familie erfahren, dass es völlig in Ordnung ist, homosexuell zu sein, werden damit auch keine Probleme haben. Es braucht dringend mehr diverse Vorbilder für diverse Jugendliche, Rollenmodelle, die zeigen, wie Beziehungen jenseits der hetero-normativen Vorstellungen gelingen können, damit sie ein glückliches, erfülltes Leben leben können.

Diverse Menschen brauchen keine Barmherzigkeit. Sie brauchen Anerkennung. Denn es sollte keine Rolle spielen, in wen sich jemand verliebt und welchem Geschlecht sich jemand zugehörig fühlt, solange dadurch niemandem Schaden zugefügt wird. So wie auch die Hautfarbe, die Religion oder die Herkunft keine Rolle in der Beurteilung von Menschen spielen dürfen. So schreibt es das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland fest, und auch die Religionsfreiheit kann das nicht aushebeln.

Wie X-Hope homosexuelle Menschen von Leitungsaufgaben auszuschließen, ist schlicht diskriminierend. Und wer fast 2000 Jahre alte Schriften wörtlich nimmt, statt sie kritisch-historisch zu hinterfragen und einzuordnen, ist nicht modern und weltoffen, mag er das auch noch so oft behaupten. Niemand sollte sich von den schönen Worten von Freiheit und Heilung einlullen lassen. Unter den modischen Jeans, T-Shirts und Turnschuhen, hinter den hip klingenden englischen Begriffen von X-Hope steckt ein uralter, intoleranter, diskriminierender, rückwärtsgewandter Ungeist.

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Quelle:
SZ vom 10.07.2020
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