Süddeutsche Zeitung

Not macht erfinderisch:Innovativ durch die Krise

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Fischverkauf statt Pauschalreise, Geldgeber im Biergarten und virtuelle Welten vom Messebauer. Drei Unternehmer präsentieren auf Einladung der Wirtschaftsförderung, wie clever sie den Lockdown und die Erschwernisse durch die Pandemie gemeistert haben

Von Erich C. Setzwein, Fürstenfeldbruck

Wie viele Lokale nach dem Lockdown wieder aufmachen werden, welche Firmen die kommenden Monate noch durchhalten werden und wie hoch die Schulden der Firmen noch steigen können - niemand weiß das derzeit so genau. Alle Betriebe im Landkreis, die nicht gerade Lebensmittel verkaufen, haben zu kämpfen. Und dennoch gibt es leuchtende Beispiele, die die Wirtschaftsförderung des Landkreises gefunden hat und denen sie in einer Zoom-Konferenz am Montagabend ein Podium bot. Zum Titel des Abends: "Not macht erfinderisch", berichteten Helmut Lang vom Tui-Reisecenter aus Gröbenzell, Michael Lex von Rappen-glitz Messebau aus Maisach und Guido Amendt von der Olchinger Braumanufaktur über ihre Geschäftsideen und Überlebensstrategien während der Corona-Pandemie.

Fisch und Wein

"Wir haben am Tegernsee Trübsal geblasen", erzählt Helmut Lang. Trübsal, weil es seine Branche gleich zu Beginn des ersten Lockdowns am schlimmsten erwischt hatte. Hotellerie und Gastronomie mussten schließen, Reisen waren nicht mehr möglich. Alle, die bereits gebucht hatten, erwarteten, dass die Verträge rückabgewickelt wurden. An diesem Tag am Tegernsee aber passierte etwas, was die Laune der Reisespezialisten bald wieder verbesserte. Sie kamen mit einem Fischer ins Gespräch, diskutierten über die zu diesem Zeitpunkt schon wenig aussichtsreiche Situation und kamen auf die Arbeit des Fischers zu sprechen, seinen Verkauf am See. Die Idee, die daraus entstand, beschreibt Lang so: "Wenn wir schon nicht die Urlauber ans Meer und zu den Fischen bringen können, bringen wir ihnen den See und die Fische ins Haus." Aus dem Reisebüro wurde ein Fischhandel und Ostern die ersten Bewährungsprobe.

Seither bekommen die Kunden des Reisebüros, wenn sie bestellen, frischen Fisch vom Tegernsee. Und weil Fisch bekanntlich schwimmen muss, nahm Lang noch einen Weinvertrieb in seinen Online-Shop auf. Nach der Osteraktion startete er am 1. Mai eine zweite Verkaufsaktion, die wiederum gut angenommen worden sei, worauf sich die Kunden auf eine regelmäßige Belieferung einstellen konnten. Damit Lang auch weiß, welche Tropfen von deutschen Winzern er da verkauft, ließ er sich im vergangenen Jahr als Weinsommelier ausbilden. "Das sind Erfolgserlebnisse, das gibt Motivation", berichtet Helmut Lang. Dass er in diesem Jahr noch zu einem vernünftigen Reisegeschäft kommen könnte, bezweifelt der Firmeninhaber. "Vielleicht ab August", schätzt er, "die Leute wollen in Urlaub fahren."

Geld und Gäste

Vor einem Jahr siedeten Julius Langosch und Guido Amendt zum ersten Mal Bier in ihrer neuen, eigenen Brauanlage auf Gut Graßlfing. Teilen konnten sie ihre Freude darüber, dass die Olchinger Braumanufaktur nun wirklich ihr Bier in Olching brauen konnte, aber das zu feiern mit den vielen Freunden und Unterstützern, war nicht möglich. Als dann im Sommer der Biergarten im Gutshof geöffnet werden durfte, zeigte sich schon, wie schwer es gewesen war und wie schwierig es noch werden würde. "Die Gäste haben uns gefragt, wie sie helfen könnten", berichtet Guido Amendt in der Online-Diskussion. Es sei der Auslöser gewesen, über Crowdfunding Geld einzusammeln. Gegen eine Dividende von sieben Prozent - in Naturalien, versteht sich. Ende dieses Jahres dürfen sich die bislang 253 Investoren über Verzehr- und Getränkegutscheine für die Gastronomie auf Gut Graßlfing freuen. Für jeden Hunderter an Investition also gibt es den Gegenwert von sieben Euro für Speisen und Getränke.

Das Crowdfunding über eine seriöse Plattform im Internet ist so erfolgreich, dass innerhalb von vier Wochen, so Amendt, 160 700 Euro zusammenkamen. Sollte wieder Geld benötigt werden, so hält er eine weitere Crowdfunding-Aktion für möglich. Eine befreundete Brauerei in München habe inzwischen ihre vierte Aktion gestartet. Amendt ist sich sicher, dass die Gäste und Kunden auch dann wieder mitmachen würden. Es gebe "eine Art Community im Biergarten".

Briefpapier und Bürodesign

Ausstellungen und Messen sind seit mehr als einem Jahr verboten. Treffpunkte von vielen Tausenden Menschen also, bei denen es um Neuigkeiten geht, um Kauf und Verkauf, um den Austausch von Ideen. Für ausstellende Firmen den richtigen Rahmen zu schaffen, eine überraschende Präsentation zu ermöglichen, ist die Aufgabe von Messebauern wie der Maisacher Firma Rappenglitz. Erst kürzlich ist sie von Gernlinden in den Neubau an der Frauenstraße in Maisach gezogen, ein lange vorbereitetes Projekt, das die Firma wegen der Pandemie nicht aufschieben oder aufgeben wollte. Mit dem Wegbrechen der Messeaufträge und der aufwendigen Rückabwicklung sei es nicht getan gewesen, sagt Geschäftsführer Michael Lex.

Sein Ziel war es, weiter zu produzieren und so wenige seiner 70 Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken. Und, im Vertrauen auf die Kreativität und die Leistungsfähigkeit seines Personals, versprach er, niemanden wegen der Corona-Pandemie zu kündigen. Bei Rappenglitz wurde also ohne Messe-Aufträge weitergearbeitet. Die jeweiligen Abteilungen befassten sich mit anderen, völlig neuen Ideen. So wurde im Auftrag eines Kunden eine komplette Geschäftsausstattung, also etwa Briefpapier, Visitenkarten und anderes, designt. Die Rappenglitz-Designer bekamen Aufträge für Büroumbauten, in der Werkstatt wurde erst für eine Apotheke ein Spuckschutz gebaut, dann für Arztpraxen, bis Testzentren eingerichtet werden sollten, und die Messebauer ihr ganzes Können wieder zeigen konnten. Zudem entwickelten die IT-Spezialisten etwas für die Firma völlig Neues: virtuelle Welten.

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Quelle:
SZ vom 21.04.2021
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