Neuerscheinung:Mit der Dampflok durch die DDR

Neuerscheinung: Eine ausrangierte Dampflok diente in Werdau in Sachsen 1976 als Heizkraftwerk für ein Krankenhaus

Eine ausrangierte Dampflok diente in Werdau in Sachsen 1976 als Heizkraftwerk für ein Krankenhaus

(Foto: Archiv: Burkhard Wollny)

Andreas Knipping und Burkhard Wollny haben einen Bildband über die ostdeutsche Eisenbahn veröffentlicht

Von Peter Bierl, Eichenau

Es scheint sich um ein Denkmal zu handeln. Eine Lokomotive auf einem Sockel. Als Wegbereiterin der modernen Industriegesellschaft hätte das Gefährt diese Ehre sicher verdient, so wie die sowjetischen Panzer, die Nazideutschland besiegen halfen. Die Ähnlichkeit der Präsentation täuscht. Tatsächlich dienten ausrangierte Dampfrösser in der DDR als Heizkessel, um alle Arten von Gebäude zu wärmen, so wie jene Lok beim Krankenhaus Werdau in Sachsen, die Burkhard Wollny im September 1976 fotografiert hat.

Der gebürtige Freiburger, im Beruf Bankkaufmann, begann früh, Eisenbahnen aufzunehmen. Seine Archiv umfasst einige hunderttausend Aufnahmen, die Motive sind unter Eisenbahnfreunden gefragt. Mitte der Siebzigerjahre begann Wollny mit Fototouren durch die DDR. Etliche seiner fantastischen Bilder sowie Aufnahmen einiger anderer Fotografen, die meisten in Schwarzweiß, sind in hoher Qualität in einem Fotoband zu bewundern, den Wollny zusammen mit dem Eichenauer Andreas Knipping veröffentlicht hat.

Knipping, von Beruf Sozialrichter, inzwischen pensioniert, hat Dutzende von Büchern zur Geschichte der Eisenbahn verfasst, darunter auch solche zur Deutschen Reichsbahn im Nationalsozialismus. Mit Wollny teilt er die Begeisterung für Dampflokomotiven und den Blick für das Wesentliche und Besondere, denn auch von ihm sind in dem großformatigen Band etliche Motive zu sehen.

Gezeigt werden in erster Linie Dampflokomotiven, aber auch die Berliner U-Bahn, die von der Deutschen Reichsbahn der DDR bis 1984 mitbetrieben wurde. Ein bisschen Nostalgie ist auch dabei, etwa bei dem Bilder vom Bahnhof Cranzahl im Erzgebirge von 1995, immer noch mit Gepäckkarren und mechanischem Zugzielanzeiger. Im Vorwort schreibt Knipping: "Ich kann mich an Dörfern und Stadtbildern nicht sattsehen, die im Westen schon in den Sechziger Jahren dem Straßenverkehr und dem Kommerz geopfert wurden." Er hat sich damit selber zitiert, den Satz hat er im Sommer 1989 geschrieben in einem Beitrag für das Buch "VEB Dampflokomotive" von Robin Garn, der aufgrund der Ereignisse zu einem politischen Tagebuch geriet.

Dabei hätte es Knipping belassen sollen. Gerade für Laien wäre es spannender gewesen, mehr über die Eisenbahn in der DDR zu erfahren. Stattdessen lässt sich der Sozialdemokrat über Utopien und Wiedertäufer, Marx und Engels, Ulbricht und Honnecker aus. Dabei steht zu vermuten, dass sich Wessis wie Knipping und Wollny so lange an den Dampfloks erfreuen konnten, weil es mangels Kapital und Produktivität nicht gelang, die Bahn zu modernisieren, sowenig wie die vielen verfallenden Gebäude, die zu sehen sind.

Trotzdem war der Anteil des Güterverkehrs auf der Schiene in der DDR deutlich höher als im Westen, schließlich gab es keine Autoindustrie samt Autokanzler. Die Ökobilanz blieb gleichwohl durchwachsen, wie Knipping und Wollny vorführen: Denn die nostalgischen Lokomotiven stießen jede Menge Staub und Feinstaub, Rauchgas und Kohlendioxid aus. Als Energieträger diente die Braunkohle, die bis heute im Tagebau gefördert wird.

Ein kleines Manko, aber nur für ein breiteres Laienpublikum, ist der Umstand, dass Lokomotiven in der Regel nur mit Nummern benannt werden. So lautet eine typische Bildunterschrift: "13 2656 wird alsbald mit ihrem Güterzug in Richtung Bayern abfahren". Aber das sind Nebensächlichkeiten. Grundsätzlich geht es Knipping und Wollny darum, Impressionen entlang der Schienen zu zeigen, die "gegensätzlich sind wie die Entwicklungen und Ereignisse in den Zeiten vor und in und nach dem großen Umbruch".

Das ist ihnen gelungen. Neben den Loks ist allerlei Infrastruktur und Zubehör zu sehen, Bahnwärterhäuschen, Signalanlagen, Stellwerke und Bahnhöfe, beeindruckende Industriearchitektur wie die Wassertürme, etwa ein 56 Meter hohes Exemplar auf dem Rangierbahnhof Wustermark, Baujahr 1907, samt den Gelenkwasserkräne. Zu den Kuriositäten gehört, dass die Westalliierten auf den Strecken von und nach Westberlin präsent waren. Im Frühjahr 1989 konnte Knipping noch zwei amerikanische Waggons in Berlin-Lichterfelde aufnehmen.

Andreas Knipping, Burkhard Wollny: Interzeitenzüge. Ost-Westlich-Eisenbahn-Belichtungen vor und nach 1989. Verlagsgruppe Bahn, Fürstenfeldbruck 2018, 212 Seiten, 49,59 Euro.

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