Neue SZ-Serie "Energiewende 2030" (Teil1):Auf dem Weg zur Autarkie

Vor 13 Jahren hat sich der Landkreis ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Innerhalb einer Generation soll die Energie komplett regenerativ erzeugt werden. Doch wie kam es eigentlich dazu?

Von Gerhard Eisenkolb

Eichenau: Serie ENERGIEWENDE / Katholische Pfarrei mit Ludger Grage + Michael Kneip

Selbst auf dem Pfarrhaus, hier in Eichenau, wird heute Sonnenstrom produziert.

(Foto: Johannes Simon)

Im Ausprobieren von neuen Dingen versuchte der Landkreis Fürstenfeldbruck - unabhängig von den jeweils Regierenden - schon immer an der Spitze des Fortschritts zu stehen. So wurde das Landratsamt als eines der ersten in Bayern überhaupt mit Computern ausgestattet, der Landkreis nahm eine Schlüsselstellung bei der Einführung des "Besseren Müllkonzepts" ein und er durfte zuletzt eine der ersten Integrierten Leitstellen zur besseren Koordination von Rettungseinsätzen aufbauen und ausprobieren. Davon profitiert haben immer diejenigen, die nach Behebung der Kinderkrankheiten später auf ein erprobtes System zurückgreifen konnten. In einer ähnlichen Vorreiterrolle befindet sich der Landkreis bei der Umsetzung der Energiewende.

So fasste der Kreistag des damaligen Agenda-Musterlandkreises Fürstenfeldbruck im Jahr 2000 einen für Kommunalpolitiker ungewöhnlichen, weit in die Zukunft gerichteten Beschluss: Innerhalb von einer Generation, also in 30 Jahren, sollte der Energieverbrauch im Kreis halbiert und mit dem parallel dazu angestrebten Ausbau regenerativer Energien eine energetische Autarkie erreicht werden. Dies wurde einfach mal so beschlossen, obwohl die Energieversorgung nicht einmal im Zuständigkeitsbereich eines Landkreises oder Kreistages liegt. Für viele Regionen wurde Fürstenfeldbruck damit bayern- und bundesweit zum Vorbild und Vorreiter zugleich.

Auch Landrat Karmasin (CSU) lässt offen, ob er damals wirklich daran glaubte, dieses Ziel erreichen zu können. "Das war einfach eine Vision", erinnert er sich, "vergleichbar mit dem Beschluss wir fliegen zum Mars". Im Rückblick erscheint es geradezu kurios, dass die so vorausschauenden Politiker die Umsetzung eines solchen Großvorhabens dem für diesen Zweck gegründeten Verein "Ziel 21" (Zentrum Innovative Energien im Landkreis) überließen. Dessen Arbeit war vor allem von Idealismus geprägt. Während der Landrat inzwischen mit den Kommunen einen konkreten Beitrag zur Energiewende leistet und ein Standortkonzept für Windräder entwickelt, standen vor 22 Jahren andere Dinge im Vordergrund: Ziel 21 konnte nicht mehr tun als ein Netzwerk zu bilden, Denkanstöße zu geben und vor allem Bewusstseinsbildung und Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben.

Und Ziel 21 war und ist immer noch ein Zwitterwesen. Privatpersonen oder die Allgemeinheit können laut Satzung nicht Mitglied werden. Der Verein ist nicht Teil der Landkreisverwaltung, er residiert im Landratsamt und ist irgendwie doch wieder eine halbe Behörde. Die 17 stimmberechtigten Vereinsmitglieder teilen sich in zwei Lager. Der eine Block sind Politiker, Sparkasse, Stadtwerke und Organisationen, den anderen bilden Handwerker, Energieberater oder in Arbeitskreisen aktive Bürger. Eine Öffnung für alle Bürger wäre zwar sinnvoll gewesen, aber sie war unerwünscht, weil sich damit die Mehrheitsverhältnisse geändert hätten und ein Durchregieren nicht mehr möglich gewesen wäre. Inzwischen räumt auch Karmasin ein, dass die Umsetzung der Energiewende von einem solchen Verein, der sich auf ehrenamtliches Engagement stützte, nicht zu leisten ist.

Aber um die Jahrtausendwende gab es im Landkreis bereits eine sehr erfolgreiche, ähnlich konstruierte Vorgängeorganisation, an der man sich bei Ziel 21 zumindest orientierte. Das war die Solidargemeinschaft Brucker Land, die eine ideelle und eine kommerzielle Seite hatte. Die Solidargemeinschaft stand für die Regionalisierung als Gegenpol zur Globalisierung. Die Wirtschaftskraft im Landkreis sollte durch den Ausbau der regionalen Wertschöpfung gestärkt werden. Und die Solidargemeinschaft förderte die lokale der Lebensmittelerzeugung, so stand am Anfang das Brucker-Land-Brot. Brucker Land war aber auch ein Konzept, wie sich geschickte Erzeuger ihren konventionellen, nach eigenen Brucker-Land-Richtlinie produzierten Lebensmittel, preislich vergolden lassen konnten.

Ziel 21 hat dieses Wirtschaftsförderungskonzept übernommen und neben der Energieberatung für Hausbesitzer auch eine Liste mit besonders zertifizierten Ziel-21-Handwerksbetrieben angeboten, die für eine fachgerechte Ausführung der Arbeiten stehen und selbstverständlich aus der Region stammen. Der Erfolg dieser Arbeit lässt sich belegen. So beruft sich Ziel 21 darauf, dass Lieferanten von Dämmmaterial für den Landkreis Fürstenfeldbruck deutlich höhere Absatzzahlen melden als vergleichbare Regionen. So wurden allein im Jahr 2009 im Landkreis rund 150 Millionen Euro in die energetische Gebäudesanierung investiert. Im Versorgungsbereich der Stadtwerke Fürstenfeldbruck ist inzwischen der Anteil an regional erzeugtem Solarstrom schon dreimal so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Rund 20 Prozent des von den Stadtwerken ins Netz eingespeisten Stroms stammen von Freiflächen- oder Dachsolaranlagen. Dass die Elektromobilität im Landkreis unterentwickelt ist - eines der wenigen Elektrofahrzeuge fährt seit diesem Sommer der Landrat - ist dem Stand der Technik geschuldet.

Zum Start von Ziel 21 wurden in zwei Jahren in 19 Gemeinden 20 Bürger-Fotovoltaikanlagen errichtet, die finanziell beteiligten Landkreisbewohner sollten als Multiplikatoren für die neue Form der Energieerzeugung wirken. Ein weiteres bundesweites Pilotprojekt von Ziel 21 war der Bau der ersten Freiflächensolaranlage, die 2003 in Egenhofen ans Netz ging.

Auch dank der Arbeit von Ziel 21 sind die Bürger bei der Energiewende oft weiter als die finanzschwachen Kommunen. Unter der neuen Vorsitzenden Alexa Zierl hat Ziel 21 damit begonnen, sich neu zu definieren. Neben dem 2000 gefassten Grundsatzbeschluss des Kreistages hat der Verein Ziel 21 noch eine zweite Wurzel. Ziel 21 war die Ausgliederung des Energiebereichs aus der Arbeit der örtlichen Agendagruppen, ist aber trotzdem die Landkreisinitiative für die Energiewende geblieben. Der Verein entwickelte ein Konzept für die regionale Stromversorgung. Dieses sieht folgenden Energiemix vor: Solarstrom Freifläche, 30 Prozent; Solarstrom von Dächern, 10 Prozent; Wasserkraft, 3 Prozent; Geothermie, 5 Prozent; Biomasse, 9 Prozent; Sonstiges, 21 Prozent (Speicher, Offshore Wind und andere Energiequellen); Windkraftanlagen, 22 Prozent (von acht Standorten mit je drei bis fünf Windrädern). Schon dieses Konzept berücksichtigt also, dass das Ziel der Autarkie wohl nicht ganz zu erreichen ist. Obwohl der Kreistag mehrmals detaillierte Rechenschafts forderte, wo der Landkreis aktuell bei der Umsetzung der Energiewende steht, konnte diese Frage von der Ziel-21-Vorsitzenden nie beantwortet werden.

Als größtes Problem auf dem Weg zur Energiewende bezeichnet der Landrat die Senkung des Energieverbrauchs. Karmasin hofft, dass seine Vision bis zum Jahr 2030 doch noch in Erfüllung geht. Dafür müssten die Kommunen, wie nun beim Thema Windkraft, auf noch mehr Feldern zusammenarbeiten. Zudem müsste es gelingen, die Landkreisbewohner mehr für das Thema Energie zu interessieren. Der nächste Schritt ist die Umsetzung des integrierten Klimaschutzkonzeptes für den Landkreis. Nach zwölfeinhalb Jahren Energiewendearbeit würde Karmasin nun eines anders machen: Er würde dieses Thema stärker im Landratsamt verankern. Dem steht die Tatsache im Weg, dass der Landkreis im Gegensatz zu den Kommunen nicht für die Energie zuständig ist. Eines holt der Landkreis nun nach, er bekommt demnächst den Klimaschutzmanager, den die beiden Landkreise Starnberg und Ebersberg bereits haben.

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