Netzwerk-Sprecherin:"Das Schulheft werden wir weiter haben, die Tafel nicht"

Dr. Sarah Henkelmann

Sarah Henkelmann berät in Sachen Digitalisierung.

(Foto: Matthias F. Döring)

Sarah Henkelmann über die Notwendigkeit neuer Medien an den Schulen, die deutsche Angst vor den Gefahren des Smartphones und Länder, die schneller sind

Interview von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Die digitale Bildung und die Zukunft des Lernens mitzugestalten, hat sich das "Netzwerk digitale Bildung" vorgenommen, das eigenen Angaben zufolge von verschiedenen Förderern aus der Wirtschaft getragen wird. Die Inhalte steuern nicht-kommerzielle Kooperationspartner, Pädagogen und Experten aus der Wissenschaft bei. Netzwerk-Sprecherin Sarah Henkelmann, die im Fach Organisationspsychologie promoviert hat, berät Ministerien, Schulen und Hochschulen zum Einsatz interaktiver Medien und Technologien und bildet in Deutschland, Österreich und der Schweiz Lehrer und Professoren zum Einsatz interaktiver Medien weiter. Derzeit ist das Netzwerk mit 20 Workshops in Bayern unterwegs, einer davon war kürzlich in Fürstenfeldbruck. Die SZ sprach mit Sarah Henkelmann über das digitale Klassenzimmer der Zukunft.

SZ: Warum kommen auch die Schulen nicht an der Digitalisierung vorbei?

Sarah Henkelmann: Die Schüler kommen ja tagtäglich mit neuen Medien in Berührung - nur in den Schulen nicht. Aber zur Vorbereitung auf das Leben ist der Umgang mit der Digitalisierung wichtig, im Privaten wie im Beruflichen. Es ist unerlässlich, dass die Digitalisierung an den Schulen Einzug hält. Man achtet ja auch darauf, dass das Kind einen ordentlichen Füllfederhalter hat. Das muss man übertragen auf die Anschaffung der neuen Technologien. Deutschland ist hier hinten dran. Wenn die neuen Technologien nicht eingesetzt werden, haben die Schüler am Ende ihrer Schulzeit einen Riesennachholbedarf. Dann stellt sich die Frage, wessen Aufgabe das später ist, die Lücke zu schließen. Aufgabe der Ausbildungsbetriebe? Der Unis? Oder muss man das privat nachholen? Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist zehn nach zwölf. Das muss jetzt stattfinden.

Wie soll die Digitalisierung an den Schulen aussehen?

Die OECD hat die Kompetenzen ermittelt, die die Schüler besitzen sollten, um auf die Zukunft vorbereitet zu sein. Es sind die vier K: Kommunikation, kritisches Denken, Kollaboration, Kreativität. All das kann künstliche Intelligenz nicht abdecken, dazu braucht es den Menschen. Deshalb wird sich auch der Fächerkanon verändern, wo bisher alles auf kognitives Wissen ausgelegt war. Trotzdem wird auch dann, wenn wir die neue Technologie einsetzen, Pädagogik vor Technik stehen. Die Technologie ist das Werkzeug, um die Unterrichtsziele zu erreichen. Es ist wichtig, dass ganzheitlich auf das Thema Technologie im Klassenzimmer geschaut wird.

Was brauchen die Schulen dafür?

Sie müssen zunächst einen Medienentwicklungsplan oder ein Medienkonzept erstellen, das beinhaltet, wie sie das umsetzen wollen. Dafür brauchen sie zumeist Hilfe, wir vom Netzwerk bieten das an. Und die Lehrer müssen sich fortbilden und beispielsweise in Studienseminaren praktisch einüben, welche Möglichkeiten die Digitalisierung bietet und welche Grenzen sie hat. Das Land Hessen macht so etwas bereits, aber wir haben noch 15 weitere Bundesländer.

Muss man das nicht auch in die Ausbildung der Lehrer implementieren?

An den Unis passiert in Deutschland diesbezüglich noch zu wenig. Man muss das natürlich auch in der Lehramtsausbildung umsetzen. Digitalisierung ist ein Querschnittsthema, das betrifft alle.

Sie sagten, Deutschland hinke hinterher. Gibt es Länder, die es besser machen?

Wo soll ich anfangen? Von den skandinavischen Ländern will ich gar nicht sprechen, aber auch die Niederlande, Großbritannien, die osteuropäischen Länder - alle sind weiter. In Deutschland hingegen ist schon die Netzabdeckung eine Katastrophe.

In Deutschland ist man gerne skeptischer als anderswo. Eltern sehen vor allem die Gefahren von Smartphones und Computern.

Ja, das ist so. Aber das müssen wir besprechen. Digitale Bildung heißt, die Schüler zu befähigen, sich in der digitalen Welt zu bewegen und diese zu gestalten. Denn Schule bereitet auch auf das Leben vor. Zum Beispiel werden die sozialen Netzwerke ja auch privat genutzt, und da muss man Bescheid wissen.

Hierzulande haben nicht mal alle Schulen Wlan. Das wollte man auch bewusst nicht, damit die Schüler nicht während des Unterrichts mit ihren Handys spielen.

Dabei haben sich Schüler immer auch schon abgelenkt im Unterricht. Früher haben sie halt Karten gespielt. Einer Bertelsmann-Studie zufolge nutzen 74 Prozent der Lehrer auch bei Handyverbot das Handy für Rechercheaufgaben. Das macht ja auch Sinn. Es geht auch um die Leichtigkeit beim Erlernen von Dingen. Wir müssen das lösungsorientierte Denken an den Schulen aktivieren. Dazu benötigen auch die Lehrer Kompetenzen, damit sie sicher werden.

Häufig sind Schüler im Umgang mit digitalen Geräten besser als die Lehrer.

Warum nutzt man das nicht? Indem man zum Beispiel Smart-Scouts einführt: Schüler, die sich auskennen und die dann den Lehrern behilflich sind. Es betrifft künftig alle Lehrer. Deshalb muss auch die Fortbildungskultur gefördert werden. Es kann auch nicht sein, dass der Informatiklehrer plötzlich E-Mail-Adressen von hundert Lehrern und tausend Schülern organisieren soll. Dafür ist er nicht da, das ist Sache des Schulträgers. Die Schulen sollen das auch einfordern. Möglicherweise braucht es in Zukunft auch einen IT-Systemadministrator speziell für Schulen als Ausbildungsberuf.

Die Kommunen als Schul- und Sachaufwandsträger sind nun gefordert. Sie können Geld aus dem Digitalpakt für die neue Technologie abzurufen.

Wenn man das Geld auf die einzelne Schule und den Schüler runter bricht, wird die große Zahl sehr klein. Es kann sich dabei nur um eine Anschubfinanzierung handeln. Denn in dem Digitalpaket ist kein Geld für Service und Wartung enthalten.

Schulen müssen Antworten finden für Themen, die für sie fachfremd sind. Viele Schulleiter fühlen sich überfordert.

Wenn die Schulträger jetzt nicht investieren, dann sind sie schlecht beraten. Sie müssen sich jetzt auf den Weg machen. Es wird ohnehin ein Prozess über Jahre, an den man strukturiert rangehen muss, um Fehler zu vermeiden. Deshalb ist es wichtig, sich die pädagogische Software genau anzusehen. Zu fragen, wie lange der Hersteller schon auf dem Markt ist. Ob es auch in Zukunft Updates dafür gibt. Wie der Support nach der Einführung organisiert ist. Ob man bei der Firma auch deutschsprachig anrufen kann. Die Schulen sollten da mutig vorangehen. Wir empfehlen dringend, sowohl die Hardware als auch die Software zu testen, zu testen und noch mal zu testen.

Was wird in Zukunft aus Tafel und Schulheft?

Das Schulheft werden wir weiter haben, die Tafel nicht. Es wird stattdessen das interaktive Display geben, dazu Rechner, Tablets. Das wird sich schrittweise entwickeln.

Wird dann eines Tages der Roboter den Lehrer ersetzen?

Nein, das wird nicht passieren. Denn Unterricht ist etwas sehr Menschliches. Aber künstliche Intelligenz wird Einzug in den Unterricht halten. Zum Beispiel könnte sich das intelligente Schulbuch der Zukunft merken, dass der Grundschüler Schwierigkeiten mit der Lesefertigkeit hat, sich aber für Fußball interessiert. Und über diese Erkenntnis, dass er Fußball mag, könnte sein Leseinteresse geweckt werden.

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