Naturschutz:Zimmer frei für Familie Vogel

Gebäudebrüter wie Mauersegler sind darauf angewiesen, dass sie ihre Nester an Häusern bauen dürfen. Auch nach Sanierungen ist das möglich, wie zwei Beispiele zeigen

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck/Mittelstetten

Naturschutz: Der Mauersegler gehört zu den bedrohten Tierarten

Der Mauersegler gehört zu den bedrohten Tierarten

(Foto: Landesbund für Vogelschutz/Ralph Sturm)

Das Leben findet manchmal im Verborgenen statt. In Mauerspalten und Ritzen. Beinahe unbemerkt. Vögel haben sich dort eingenistet. Direkt am Haus. Manchmal unbemerkt. Manchmal aber sind die heimlichen Mieter nicht zu übersehen. Denn wenn Mauersegler ihre Quartiere bezogen haben, tauchen sie manchmal "in Truppenstärke" auf, 30 bis 50 Exemplare, und machen abends Spektakel. "Screaming parties" - Schreipartys - nennen das Vogelfachleute wie Simon Weigl. Es ist das Sozialverhalten der Vögel. In Gruppen fliegen sie dann dort, wo sie ihre Brutplätze haben, um die Häuser.

Bei den Hochhäusern nahe des Bahnhofs Buchenau im Fürstenfeldbrucker Westen tun sie das auch. Man würde nicht vermuten, dass sich dort inmitten dicht gedrängten Wohnraums die wohl größte Mauerseglerkolonie im Landkreis befindet. Fast 40 Brutplätze haben sie dort, sagt Weigl, Geschäftsführer der Fürstenfeldbrucker Kreisgruppe des Landesbundes für Vogelschutz (LBV). Zwei Wohnblocks wurden jetzt saniert - und die Wohnungen der Vögel ebenfalls ins Sanierungsprogramm aufgenommen. Klingt ungewöhnlich, ist aber eigentlich gesetzlich vorgeschrieben. Denn dem Bundesnaturschutzgesetz zufolge sind die Nistplätze von Gebäudebrütern streng geschützt und dürfen nicht verschlossen, versperrt oder zerstört werden. Dass "Artenschutz und energetische Haussanierung architektonisch vereinbar" seien, zeige dieses Beispiel, freut sich Simon Weigl. Und diese Botschaft will er nur allzu gerne weitergeben für weitere Sanierungs- und Neubauprojekte.

Mauerseglern und anderen Gebäudebrütern kommen die Wohnungen abhanden. Die moderne Gesellschaft macht es ihnen nicht leicht. Zum Brüten suchen sich Mauersegler Quartiere in Hohlräumen unter Dächern oder hoch gelegenen Mauerlöchern, in undichten Jalousiekästen oder hinter Verkleidungen von Flachdachgebäuden. Überall dort also, wo nach Menschenmeinung Renovierungsbedarf besteht. Weil der Mensch diesem Drang allzu häufig nachgibt, verlieren Gebäudebrüter wie Mauersegler, Schwalben oder auch die als Spatzen bekannten Haussperlinge ihre Brutstätten. Sanierungen während der Brutzeit gefährden die Vögel und ihre Brut, aber auch bei Baumaßnahmen außerhalb der Brutzeit werden Nistquartiere oft unwissentlich verschlossen und stehen den Vögeln nicht mehr zur Verfügung, die gerne ihre Nisthöhlen aus dem Vorjahr wieder aufsuchen. Dabei ist die Zeit, die sie hierzulande für Brut und Aufzucht ihrer Jungen verbringen, gar nicht lang - drei Monate.

"Das ist auch der einzige Zeitpunkt, wo sie den Boden berühren, erzählt Simon Weigl: "Ansonsten leben sie in der Luft. Sie trinken im Flug und paaren sich sogar im Flug." Zu erkennen sind Mauersegler an ihren langen, sichelförmigen Flügeln und dem gegabelten Schwanz. Sie sind größer als Schwalben, werden dennoch öfter mit ihnen verwechselt. Ihr Gefieder ist bräunlich bis schwarz, Männchen und Weibchen sehen gleich aus. Sie brüten in Kolonien, gerne eben an besonders hohen Gebäuden, die sie frei anfliegen können.

Im Brucker Westen taten sich mehrere Beteiligte zusammen, um die anstehende Fassadensanierung und den Schutz der Vögel in Einklang zu bringen: das ausführende Büro für Rationelle Instandsetzung Coskun & Kollegen aus München, die Hausverwalter von der Allgemeinen Wohnungs- und Bautreuhand aus Olching, die Wohnungseigentümer und der LBV. Man habe alle "ins Boot geholt", erinnert sich Bauleiter Hasan Coskun: "Dazu ist Kommunikation notwendig." Bei zwei großen Anfang der Siebzigerjahre errichteten Wohnblocks stand die Sanierung der vorgehängten Fassaden an, deren Platten asbesthaltig waren und von energetisch schlechtem Standard. Die bereits verlassenen Nester der Mauersegler, die diese hoch oben hinter die Fassade in Spalten gebaut hatten, wurden bei den Bauarbeiten ersetzt durch speziell angefertigte hölzerne Nistkästen, die wiederum hinter der Fassade ihren Platz fanden - unterhalb der Attika, dort, wo Außenwand und Flachdachrand aufeinandertreffen - in 20 Metern Höhe. Dort finden sich auch die Einfluglöcher, die die Mauersegler, die dieser Tage aus den Winterquartieren zurückerwartet werden, in ihre Nester hineinführen. Den Vögeln stehen jetzt insgesamt 38 Nistplätze zur Verfügung, 18 in dem einen, 20 im anderen Wohnblock.

Bei den Sanierungsarbeiten wurden die Brutzeiten der Mauersegler in den Bauablauf einbezogen. So sei das Gerüst an der Giebelseite, wo die Einfluglöcher sichtbar waren, zunächst nicht ganz nach oben gezogen worden, um die Vögel nicht zu stören, erzählt Coskun. Erst im September, als die Vögel wieder in ihre Winterquartiere abgeflogen waren, kam dann der obere Abschnitt an die Reihe mitsamt Einbau der neuen Nistkästen. "Die Mauersegler sind Bestandteil dieses Gebäudes", sagt Coskun. Wenn man diese Tatsache als Planer einbeziehe, dann sei die Sache unproblematisch.

Auch andere Gebäudebrüter wie Spatzen Schwalben, Turmfalken, Dohlen oder Schleiereulen kennen das Problem der Wohnungsnot. Der Bestandsrückgang bei den Spatzen sei den meisten Menschen gar nicht bewusst, heißt es beim LBV. Vor zwei Jahren begann die Brucker Kreisgruppe damit, Brutplätze von Gebäudebrütern systematisch zu erfassen. Um die 900 sind nach Auskunft von Weigl schon in die Statistik aufgenommen.

Nistmöglichkeiten hat der LBV auch in einem alten Trafohäuschen bei Mittelstetten geschaffen. Seit 1992 wurden dort mehr als hundert Greifvogelkinder groß. Kürzlich wurde das in die Jahre gekommene turmartige Gebäude von Grund auf saniert und erhielt einen neuen Anstrich. Karl Rössle, seit mehr als 35 Jahren ehrenamtlich beim LBV aktiv, betreut das Trafohäuschen, seit es die Isar-Amper-Werke 1988 an den gemeinnützigen Verein überschrieben haben: "Uns war gleich klar: Das ist eine ideale Brutstätte für Greifvögel. Eigentlich dachten wir dabei an Schleiereulen, die Turmfalken waren jedoch schneller", erinnert er sich. Im Coronajahr 2020 dann die Überraschung: Zum ersten Mal zog auch ein Schleiereulenpaar fünf Junge dort auf - zur selben Zeit und im selben Nistkasten wie die Turmfalken. Ungewöhnlich. Simon Weigl, der sich beim LBV um die Großnistkästen kümmert, weiß, dass die durch ihren herzförmigen, weißen Gesichtsschleier von allen übrigen Eulen gut zu unterscheidenden Schleiereulen stets an den Turmfalken vorbei mussten, wollten sie zu ihren eigenen Jungen gelangen. Die gemeinsamen Mieter aber schienen sich zumindest soweit zu vertragen, dass der Nachwuchs beider groß wurde.

"(Wohnungs-)Not macht erfinderisch! Unter einem Dach mit Spatz und Fledermaus". Online-Vortrag des LBV am Dienstag, 27. April, 19.30 Uhr. Teilnahmelink unter https://fuerstenfeldbruck.lbv.de oder per E-Mail an team.fuerstenfeldbruck@lbv.de

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: