Süddeutsche Zeitung

Natur:Das fragile System bröckelt

Immer weniger Nahrung, immer mehr Gifte: Bienen und andere Insekten sind akut bedroht. Das gefährdet auch andere Tiere und schließlich den Menschen. Das Volksbegehren zur Biodiversität soll den Zerfall stoppen

Von Ingrid Hügenell, Fürstenfeldbruck

Der wichtigste Faktor dafür, dass es den Bienen gut geht, ist die Vielfalt der Blüten. So sieht es Christian Engelschall, der einzige Berufsimker im Landkreis. Aus eigener Anschauung, und weil Engelschall auch Gesundheitswart des Imkervereins ist, weiß er, dass es den Bienen im Landkreis vielfach nicht wirklich gut geht. Etwa die Hälfte seiner Völker verliere er in jedem Winter, berichtet er, und erzählt von einem Kollegen, der jetzt, Anfang Januar, schon 90 Prozent aller Bienen verloren hat. Und dabei sollen die eigentlich noch bis März durchhalten.

Engelschall begrüßt deshalb das Volksbegehren "Rettet die Bienen", für das man sich von 31. Januar an eintragen kann. Es soll in ein Gesetz münden, das die Artenvielfalt und die bäuerliche Landwirtschaft in Bayern rettet - und natürlich den Bienen hilft. Die fleißigen Insekten leiden unter einer Vielzahl von Problemen, die Engelschall aus dem Stand aufzählen kann: Wenn der Raps im Frühsommer verblüht ist und alle Wiesen gemäht werden, finden die Bienen vielfach zu wenig Nahrung. Im späten Herbst dagegen blühe inzwischen durch die Gründüngung oft zu viel, das bringe die Winterbienen in Stress, so dass sie kürzer leben als normal, erklärt er.

Dazu kommen "Spritzmittel" wie die Neonicotinoide, durch die die Insekten Orientierungsprobleme bekommen. Inzwischen habe man auch bemerkt, dass Bienen nach dem Kontakt mit den Neonics die Temperatur in ihren Stöcken nicht mehr richtig regulieren könnten, was sich auf die Brut fatal auswirkt. So geschwächt, fallen die Bienen leichter Virus- und Bakterienerkrankungen zum Opfer. Besonders bedrückend klingt die Darmerkrankung, die sich durch "stilles Leerfliegen" äußert. Wie Engelschall erklärt, fliegen infizierte Bienen aus dem Stock und kommen nicht zurück. Sie sterben draußen, der Stock wird leer, das Volk ist tot. All die ungünstigen Faktoren machen auch anderen Insekten zu schaffen. Dass sie immer weniger werden, wirkt sich unmittelbar auf viele Tiere aus, wie Ursula Anlauf vom Landesbund für Vogelschutz erklärt. Vögel, die Insekten fressen, wie Schwalben oder Mauersegler, finden zu wenig Nahrung. Aber auch Vögel, die sich sonst etwa von Körnern ernähren, füttern ihre Küken mit Insekten und deren Larven. Gibt es zu wenig Futter, verhungern die Jungvögel. Besonders betroffen seien die Fledermäuse, sagt Anlauf. Die fliegenden Säuger ernähren sich ausschließlich von Insekten. Sie leiden zusätzlich, wenn Äcker und Felder immer größer werden und weder Baum noch Hecke ihnen beim Überfliegen Schutz bieten.

Der Landesbund für Vogelschutz ist deshalb einer der Unterstützer des Volksbegehrens "Rettet die Bienen", das von der ÖDP initiiert wurde und im Landkreis von zehn weiteren Organisationen und Parteien unterstützt wird. Darunter sind SPD, Grüne und "Die Partei", aber auch die örtliche Slowfood-Gruppe. Seine Organisation engagiere sich international für die Biodiversität und auch die Erhaltung der bäuerlichen Landwirtschaft, erklärt Sprecher Richard Bartels. Deshalb sei die Unterstützung des Volksbegehrens durch Slowfood selbstverständlich. Als vorerst letzte Gruppe sind Anfang Januar die "Naturnahen Gärten Fürstenfeldbruck" dazugekommen, wie Anlauf mitteilt. Der Imkerverein im Landkreis zählt hingegen nicht zu den Unterstützern.

Der Weg zum Volksentscheid

Seit hundert Jahren gibt es in Bayern das Instrument des Volksbegehrens, mit dem die Bürger selbst zum Gesetzgeber werden können. Dabei sind freilich einige Hürden zu überwinden. Zunächst müssen die Initiatoren eines Volksbegehrens für dessen Zulassung 25 000 Unterschriften sammeln. Für "Rettet die Bienen" unterschrieben im Sommer 100 000 Stimmberechtigte. Nun muss die zweite Hürde genommen werden: Zwischen 31. Januar und 13. Februar liegen in allen Rathäusern Bayerns Listen aus. Ein Zehntel der bayerischen Stimmberechtigten müssen sich in diese Listen eintragen, etwa eine Million Menschen.

Ist das geschafft, stimmen Staatsregierung und Landtag über den Gesetzentwurf ab. Stimmen sie zu, wird der Entwurf, in diesem Fall die Verpflichtung zum Schutz der Artenvielfalt, zum gültigen Gesetz. Wird der Gesetzentwurf vom Parlament abgelehnt, entscheidet innerhalb von sechs Monaten das Volk selbst. Seit 1946 kam es in Bayern zu 19 Volksentscheiden, fast alle waren erfolgreich. IHR

In dem Volksbegehren geht es nicht allein um die Bienen, sondern um die Biodiversität allgemein. Die Biene sei als Symboltier gewählt worden, "weil alle Menschen verstehen, wie wichtig Bienen als Bestäuber ist - und dadurch für unsere Nahrungsgrundlage", erklären die Initiatoren. Honigbienen, Wildbienen und viele andere Insekten sind wichtige Bestäuber, ohne sie gäbe es beispielsweise viel weniger Kirschen, Äpfel, Erdbeeren, Tomaten oder anderes Obst und Gemüse.

Die Unterstützer sind im Landkreis gut organisiert. Sie treffen sich am kommenden Mittwoch, 9. Januar, um darüber zu sprechen, wie man möglichst viele Wahlberechtigte dazu bewegen kann, sich von 31. Januar bis 13. Februar in die Listen einzutragen. Gesucht werden noch "Rathauslotsen". Sie sollen sich für jeweils zwei Stunden in der Nähe der Rathäuser postieren, Passanten auf das Volksbegehren aufmerksam machen und für die Unterzeichnung werben. Wer mitmachen will, kann am Mittwoch um 19 Uhr ins Restaurant "Dampfschiff" in Grafrath kommen.

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Quelle:
SZ vom 05.01.2019
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