Süddeutsche Zeitung

Musik in Olching:Aufs Beste vereint

Bei einer Matinee finden indische und europäische Klassik zusammen

Von Jörg Konrad, Olching

Mit "klassischer Musik" wird sowohl in der westlichen Welt eine traditionelle Musizierstilistik bezeichnet, wie auch in der indischen Musik. Beide Formen unterscheiden sich in Aufbau, Form und Ausdruck erheblich, so dass sie sich im Laufe der Jahrhunderte völlig unabhängig voneinander entwickelt haben.

Erst Ende der Fünfziger, Anfang der Sechziger Jahren gab es, mit dem Aufkommen von Langstreckenflügen, eine stärkere Annäherung dieser beiden sehr verschiedenen Lager. Der indische Sitar-Spieler Ravi Shankar tourte durch die staunende westliche Welt und gab einem aufgeschlossenen Publikum umfangreiche Einblicke in die spezifische Klangvielfalt indischer Musik. Damit wurden neue kulturelle Horizonte geöffnet, die zugleich ungeahnte Möglichkeiten sowohl der Erkenntnis als auch des Austausches für die Zukunft miteinander ermöglichten.

Ein gegenwärtiges Ergebnis dieser Entwicklung ist das Projekt der drei Instrumentalisten Ava-Rebekah Rahman (Violine), Matthias Diener (Violoncello) und Debasish Bharracharjee (Tabla), die am Sonntag im Rahmen der Matinee Eleven-Eleven in Olching auftraten. Man mag das Zusammenführen dieser unterschiedlichen Instrumente und musikalischen Denkweisen nun Weltmusik oder Crossover nennen, Exotismus oder Fusion - das Ergebnis dieses praktischen Miteinanders von Kulturen bleibt das gleiche: Ein Ausdruck von Toleranz und Völkerverständigung. Zugleich dient ein solches Konzept dem Verständnis von Musik in ihrer Ganzheitlichkeit.

Dabei ist es fast egal, auf welches Repertoire sich die Instrumentalisten einigen, welche Strukturen als Grundlage genutzt werden. Hauptsache ist die individuelle Offenheit der Musikanten und der Wille zum Austausch.

In Olching einigte man sich auf Ludwig van Beethoven und Johann Sebastian Bach als Vertreter der westlichen Klassik sowie auf den überwiegend in New York lebenden deutschen Komponisten Matthias Pintscher. Das empathische Spiel miteinander zeigte die Möglichkeiten auf, die in der Musik selbst stecken, wenn man nicht starr an deren Mustern klebt. Nicht nur, dass bei einem Großteil der Vorlagen Debasish Bharracharjee virtuos und einfühlsam improvisierte rhythmische Komponenten auf der Tabla in die Musik mit einflocht. Immer wieder war es auch Ava-Rebekah Rahman, die aus dem notierten Fundament ausbrach und in kurzen, freien Intervallen an die uralten, hochkomplexen Systeme von Ragas und Talas erinnernd atmosphärisch brillierte.

Matthias Diener sprach im Vorfeld von der Spiritualität des Ausgangsmaterials, die einen solchen transkulturellen Austausch Live auf der Bühne erst möglich mache. Statt einem beziehungslosen Nebeneinander entstand tatsächlich eine musikalische Synthese, die weit über das perfekte Beherrschen des Instrumentariums hinausging. Dieses Ineinandergreifen von notierten Grundfesten und spielerischen Verzierungen, dieses Aufbrechen von Konventionen im Sinne moderner weltmusikalischer Hörerfahrungen lässt einen neuen musikalischen Organismus entstehen: Erfrischend, kühn und fließend. Das Publikum nahm diese Form des Kulturen übergreifenden Miteinanders begeistert auf. Das zeigt, dass dieser Weg öfter präsentiert werden sollte.

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Quelle:
SZ vom 08.01.2020
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