Süddeutsche Zeitung

Musik:Die Selige ins Heute geholt

Für die Edigna-Festspiele in Puch hat Marcus Everding ein aktuelles Stück geschrieben. Es interpretiert die Geschichte aus dem elften Jahrhundert ganz neu

Von Katharina Knaut

Hell erleuchtet thront die Kirche von Puch über dem Fürstenfeldbrucker Ortsteil. Dahinter erkennt man schwarze Äste, halb verdeckt von der Kirche, die sich gegen die rot-goldenen Farben des Abendhimmels abheben. Das ist die Linde von Puch, Wirkungsstätte der Edigna. In diesem Baum soll im elften Jahrhundert die Ortsselige gelebt haben, eine französische Prinzessin, die ihrem Elternhaus und einer Zwangsheirat entfloh, um ihr Leben ganz Gott zu widmen. So kam sie nach Puch, wo sie fortan den Menschen mit ihrem medizinischen Wissen und ihrer Bildung half.

Wie sich der Baum vor dem farbenprächtigen Himmel abhebt, könnte man meinen, Edigna wache an diesem Abend über das, was sich am Fuß des Hügels abspielt. Es ein Tag zu ihren Ehren: Alle zehn Jahre finden in Puch die Edigna-Festspiele statt. Dann führen die Bewohner Puchs ein Theaterstück auf, das die Geschichte der Ortsseligen erzählt. Am Samstag fand die Premiere statt, die in dem vollen Saal zurecht bejubelt wurde.

In den Saal des Pucher Gemeinschaftshauses waren gekommen: Landtagspräsidentin Ilse Aigner, Schirmherrin der Festspiele, eine ukrainische Delegation mit dem Generalkonsul Juri Yarmilko sowie die stellvertretende Landrätin Martina Drechsler und Oberbürgermeister Erich Raff. Es werden Grußworte gehalten, immer wieder fallen die Worte Europa, Gemeinsamkeit, Zusammenhalt. Denn dafür steht Edigna: Sie wuchs als französische Prinzessin mit ukrainischen Wurzeln auf und wirkte schließlich in Deutschland. "Eine Brücke in alle Richtungen, von West nach Ost", wie Aigner es ausdrückt. Eine europäische Geschichte also, über Verbindung, Gemeinschaft.

Das ist nur eine der Botschaften der Edigna-Legende, die viele unterschwellige Botschaften zu haben scheint: Den Aufruf zur Selbstbestimmung und -verwirklichung, die Befreiung aus den Zwängen der Gesellschaft, das Annehmen des Unbekannten. All das hat Marcus Everding, der bereits zum zweiten Mal die Geschichte inszenierte, nun auch in seinem Stück "Ex voto Edigna - was vom Baum blieb" verarbeitet. Darin holt er nach einer Einführung in die Vergangenheit die Geschichte ins Jahr 2019. Im Zentrum steht die Frage, welche der Botschaften noch Aktualität besitzen.

Edigna heißt nun Catherine (gespielt von Christina Probst) und ist eine junge Frau zunächst unbekannter Herkunft, die eines Tages mit einem großen Koffer am Bahnhof eines kleinen Ortes auftaucht. Dort setzt sie sich zu einem alten, traurigen Witwer auf die Bank, seinem Stammplatz, und beginnt ein Gespräch. Das Reden tut ihm gut, er nimmt sie bei sich auf. Catherine hat ihre Berufung gefunden: Von nun an ist sie es, die jeden Tag auf der Bank sitzt. Dort bietet sie allen Menschen, die an ihr vorbei über den Bahnsteig laufen, das Gespräch an. Sie hört zu, erteilt Rat und zitiert aus der Bibel.

Auf diese Weise werden aktuelle Themen angesprochen, manche unterschwellig, wie das Misstrauen gegen Ausländer - Catherine ist Französin. Andere sind klar und offensichtlich, wie die Aufforderung, sich vom dem ständigen Druck der Erreichbarkeit zu befreien - Catherine wirft ihr Handy in den Mülleimer. Eine Frage rückt Everding deutlich ins Zentrum: Was würde eine moderne Edigna 2019 bewirken? Die Heilerin von damals stand vor allem für Gesundheit und Bildung, wovon die einfachen Menschen im elften Jahrhundert vermutlich nur wenig hatten. Catherine schenkt, was nach Everdings Vorstellung der heutigen Gesellschaft fehlt: Zeit.

Der Schauplatz Bahnsteig ist treffend gewählt und wirkungsvoll in Szene gesetzt: Hastig umherlaufende Menschen, den Blick starr in die Ferne, auf die Uhr oder das Smartphone geheftet. Ein ständiges Brummen aus Klagen und Beschwerden wirkt als musikalische Untermalung.

Doch Catherine sitzt ruhig auf ihrer Bank, mit einem Lächeln auf den Lippen und einer Bibel in der Hand. Manchmal wirkt sie fast schon selbstgerecht, über die gewöhnliche, hektische Welt erhaben. Insbesondere dann, wenn sie ihren Kritikern mit Weisheiten und klugen Worten aus der Bibel begegnet. Dass diese Haltung nicht enervierend wirkt, liegt zum einen an der glaubhaften Darstellung Probsts, die es schafft, den Charakter sympathisch zu vermitteln. Zum anderen trägt auch Everding dazu bei, der seiner modernen Edigna menschlichen Züge und Gefühle verleiht. Besonders deutlich wird das, als Catherines Mutter und ihr Freund auftauchen, um sie in ihr reiches, behütetes Leben in Frankreich zurückzuholen. Sie verstehen ihr neues Leben nicht, vor allem der Freund reagiert mit Spott und Verachtung. Catherine wird unsicher, ist aufgewühlt, verzweifelt. Nun schreit auch sie den Menschen auf der Bühne und dem Publikum entgegen: "Ich habe keine Zeit!"

Trotzdem schafft sie es, sich gegen die Widerstände ihrer Familie und der Dorfbewohner zu behaupten, findet am Ende Akzeptanz. Welche der vielen Botschaften man für sich mitnimmt, bleibt jedem selbst überlassen. Eines wird klar: Die Geschichte der Edigna und das, wofür sie steht, überdauern wie ihre Linde.

Weitere Aufführungen an den Samstagen 2., 9. und 16. März sowie an den Sonntagen 3., 10. und 17. März, 14 Uhr und 18.30 Uhr, im Gemeinschaftshaus Puch, Zur Kaisersäule 6.

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Quelle:
SZ vom 25.02.2019
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