Jahresrückblick 2022:Jeden Monat an ein Opfer denken

Lesezeit: 4 Min.

Der zwölf Opfer wird bei einem Staatsakt aus Anlass des 50. Jahrestages des Olympiaattentates von 1972 am 5. September auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck gedacht. (Foto: Sebastian Widmann/StMI)

50 Jahre nach den Olympischen Spielen in München wird an die von palästinensischen Terroristen getöteten elf israelischen Sportler und den im Dienst ums Leben gekommenen Polizisten erinnert.

Von Erich C. Setzwein, Fürstenfeldbruck

"50 Jahre lang sind ihre Namen mit ihrem Tod in Verbindung gebracht worden, aber seit diesem Jahr werden die Namen mit ihrer Liebe verbunden." Carmela Shamir, Generalkonsulin des Staates Israel für Süddeutschland, sagt dies als persönliche Bilanz eines Jahres, in dem sie jeden Monat an Gedenkveranstaltungen für die elf beim Olympia-Attentat ermordeten israelischen Sportler und einen bayerischen Polizeibeamten teilnahm. Shamir ist mehrmals in Fürstenfeldbruck gewesen, als Vertreterin jenes Staates, dessen Olympia-Mannschaft vor 50 Jahren nach München kam, um ein anderes Deutschland zu erleben. 36 Jahre nach den Olympischen Spielen von Berlin, die im Zeichen von Hakenkreuz und Hitlergruß stattfanden, sollten die Sportler aus aller Welt sehen, wie frei, friedlich, freundlich und verständnisvoll dieses neue Deutschland war. Dass dabei die Sicherheit aller, aber vor allem die der israelischen Nationalmannschaft vernachlässigt wurde, das zeigte sich brutal und blutig vom 5. auf den 6. September 1972 an den Schauplätzen im Olympiadorf in München, wo der Anschlag begann, und auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck, wo völlig unvorbereitete und schlecht ausgerüstete bayerische Polizisten neun Geiseln befreien sollten. Die Terroristen, die von Fürstenfeldbruck aus mit ihren Geiseln in einem Flugzeug ausfliegen wollten, konnten nicht überwältigt werden und ein Blutbad anrichten. Seither waren die Namen der in München und Bruck ermordeten israelischen Sportler mit deren Tod verbunden gewesen, wie Carmela Shamir dies am Ende dieses Jahres feststellte.

Es bedurfte dieses Jahres 2022, dass jedes dieser Biografien einschließlich des getöteten Polizisten Anton Fliegerbauer mehr Beachtung bekam. In einem in diesem Zusammenhang beispiellosen Projekt des Jüdischen Museums und des NS-Dokuzentrums, des israelischen Generalkonsulats und der Stadt München, des Historischen Vereins für die Stadt und den Landkreis Fürstenfeldbruck, der bayerischen Polizei und der Initiative "Schulterschluss" des Kabarettisten Christian Springer sowie vielen weiteren Unterstützern ist es gelungen, jedem Opfer mehr Zeit und Raum zu widmen, als dies bislang bei Gedenkveranstaltungen der Fall war. Dabei, und das ist die Schlussfolgerung der Generalkonsulin, konnte man mehr über die Menschen erfahren, mehr über ihre Ambitionen zu den Spielen nach München zu reisen, mehr über ihre Herkunft, ihr Schicksal, ihre Familien. Und dies alles führte dazu, dass die Namen der Ermordeten nun eben nicht mehr mit ihrem Tod in München und Fürstenfeldbruck vor 50 Jahren verbunden werden, sondern mit der Liebe, die sie gaben und die sie umgab.

Zeichen der Versöhnung: Die Sprecherin der Angehörigen, Ankie Spitzer, und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier umarmen sich nach seiner Rede im September 2022. (Foto: Guido Bergmann/Bundesregierung/dpa)

Fürstenfeldbruck, und darauf ist die scheidende Vorsitzende des Historischen Vereins, Anna-Ulrike Bergheim sehr stolz, hat dazu beigetragen, an sechs der Opfer zu erinnern. Im Februar wurde in einer Veranstaltung in der Polizeihochschule des Polizeibeamten Anton Fliegerbauer gedacht, im März im Bauernhofmuseum Jexhof an den Gewichtheber Ze'ev Friedman, im Mai in einer Ausstellung an den Ringer Eliezer Halfin, im Juni mit einem Gedächtnisturnier in Eichenau an den Gewichtheber Yossef Romano und im November an den Kampfrichter Yakov Springer. Das Graf-Rasso-Gymnasium erinnerte an ihn mit einer Veranstaltung, für die sich unter anderem die Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch Zeit nahm. Sie richtete ihre Worte an die Heranwachsenden und ermunterte sie, Geschichte nicht einfach Historisches sein zu lassen, sondern sich mit ihr auseinanderzusetzen, daraus zu lernen. Knobloch ist es auch, die nicht müde wird zu betonen, welche Anstrengungen der Landkreis Fürstenfeldbruck und sein Landrat Thomas Karmasin seit Jahrzehnten unternehmen, um die Erinnerung an die Opfer des Olympia-Attentats wachzuhalten. Bernhard Purin, Direktor des Jüdischen Museums in München, würdigte wenige Wochen nach Knoblochs Grußwort in Fürstenfeldbruck in einer Pressekonferenz in seinem Haus, dass mit dem Projekt "Zwölf Monate - Zwölf Namen" in München etwas gelungen sei, was es im Landkreis Fürstenfeldbruck schon lange gebe und das nun Teil des kollektiven Gedächtnisses geworden sei.

Im Graf-Rasso-Gymnasium Fürstenfeldbruck spricht die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde für München und Oberbayern, Charlotte Knobloch. (Foto: Carmen Voxbrunner)

In diesem 50. Jahr nach dem Olympia-Attentat wird auch vermerkt bleiben, dass es ein halbes Jahrhundert dauern musste, bis die Bundesrepublik den Anstand hatte und bei den Angehörigen um Entschuldigung bat. Es war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der als Repräsentant dieses Staates eingestand, wie kläglich seinerzeit die Polizei bei der Befreiung der israelischen Geiseln versagte. Wie sich jahrzehntelang niemand im aufrichtige Aufklärung kümmerte, wie mit Wünschen, Bitten und Forderungen der Angehörigen der Attentatsopfer umgegangen wurde. Es war am 5. September dieses Jahres vor dem alten Tower im Fliegerhorst Fürstenfeldbruck, als Steinmeier zusammen mit seiner Frau und gemeinsam mit dem israelischen Staatspräsidenten Isaac Herzog und dessen Frau Kränze niederlegten, der Opfer gedachten und hernach in ihren Reden die Aussöhnung betonten ebenso wie die Schuld.

FFB Churfürstensaal Gedenkveranstaltung Zwölf Monate - Zwölf Namen 50 Jahre Olympia-Attentat Anton Fliegerbauer (Foto: Carmen Voxbrunner/Carmen Voxbrunner)

Der Bundespräsident nannte es eine "große Tragödie", was seinerzeit passiert sei, und er erklärte, warum Deutschland gleich dreifach versagt habe. Als Erstes habe man bei der Vorbereitung der Olympischen Spiele in München und beim Sicherheitskonzept versagt. Das zweite Versagen schreibt er dem Umgang mit dem Anschlag am 5. und 6. September 1972 zu, die Verhandlungen mit den Terroristen und das tödliche Ende in Fürstenfeldbruck. Und als drittes Versagen benannte Steinmeier die Zeit nach dem Attentat: Das Schweigen, das Verdrängen, das Vergessen.

Das Interesse an den Geschehnissen scheint größer zu werden

Jemand, der in all den Jahren gegen dieses Verdrängen und Vergessen werden angekämpft hat, war ebenfalls eingeladen worden zum Staatsakt in Fürstenfeldbruck. Doch Ankie Spitze, Witwe des Fechttrainers Andrej Spitzer, die für die Angehörigen spricht und sich für deren Ansprüche einsetzt, wäre dem Staatsakt ferngeblieben - zusammen mit weiteren Angehörigen der Opfer sowie dem Staatspräsidenten. Erst als Deutschland auf ihre Entschädigungsforderungen einging, reiste die Delegation an und hörte sich persönlich an, wie Steinmeier und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder um Verzeihung baten.

Dieses Gedenkjahr haben viele Menschen im Landkreis Fürstenfeldbruck aktiv begleitet, bei der Organisation oder als Besucher von Veranstaltungen. Dabei ist wie in den Jahren zuvor deutlich geworden, dass die Zahl derer, die sich für die Geschehnisse von 1972 interessieren ein wenig größer geworden ist. Das gibt den Veranstaltern auf offizieller wie auf ehrenamtlicher Seite, also im Landratsamt, in der Polizeischule oder beim Historischen Verein die Hoffnung, dass auch nach dem 50. Jahrestag des Olympia-Attentats sich eine solide Erinnerungskultur im Landkreis hält. Christian Springer, der Kabarettist und Verteidiger demokratischer Werte und Menschenrechte, der oft zurecht und mit großer Vehemenz seine Wut über das Leugnen, Vergessen und Verdrängen hinausschreit, kommentierte es unlängst in München so: "Erinnern ist keine Bürde, sondern eine Chance. Nicht erinnern wäre eine große Last."

Das Gedenkprojekt "Zwölf Monate - Zwölf Namen" hat Angela Libal für das Jüdische Museum in einer Broschüre zusammengefasst; Hentrich & Hentrich Verlag, erhältlich im Jüdischen Museum München und im Buchhandel, 17,90 Euro.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

ExklusivOlympia 1972
:Wie riskant die Spiele von München waren

Im Olympiastadion und in der Schwimmhalle herrschten 1972 zum Teil lebensgefährliche Zustände. Interne Dokumente enthüllen das ganze Ausmaß - und Pläne der Verantwortlichen, das Problem mit Schmierseife zu lösen.

Von Roman Deininger und Uwe Ritzer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: