Süddeutsche Zeitung

Müllvermeidung:Lebensmittel retten ganz legal

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Sabine Kemmet hat auf Facebook eine Foodsharing-Gruppe gegründet. Inzwischen kooperiert sie mit Edeka in Maisach und verteilt das Essen weiter

Von Ariane Lindenbach, Maisach/Emmering

"Ja, hab ich schon gesehen. Den nehm ich dann für mich mit, ich wollte heute Nachmittag sowieso Kuchen backen." Vorsichtig legt Sabine Kemmet den Quark mit der leicht beschädigten Verpackung ganz oben in ihre Styroporkiste. Die ist schon mit Joghurt, Gratin- und Frischkäse, Schokoriegeln und weiterem Essen gefüllt. Wie jeden Donnerstag und Freitag steht die Emmeringerin in der Liefereinfahrt der Maisacher Edeka-Filiale und holt die Lebensmittel ab, die sonst im Müll landen. Die 46-Jährige hat eine Facebook-Gruppe gegründet, um das Gesammelte im Landkreis zu verteilen, zurzeit vor allem in Emmering.

Seit Juli gibt es die Facebook-Gruppe mit dem Namen: "Die Lebensmittel-Retter Lkr. Fürstenfeldbruck". Sie hat bereits 500 Mitglieder. 2015 als Plattform für Foodsharing begonnen, wo jeder Private Lebensmittel anbieten und abholen kann, arbeitete Kemmet das Konzept weiter aus. Oberstes Ziel: Lebensmittel vor dem Müll bewahren, "damit sie nicht verschwendet werden", wie es in der Facebook-Gruppe heißt. Sie erkundigte sich bei einer Gruppe Gleichgesinnter in München, wie man rechtlich korrekt agiert - als Lebensmittel-Retter ebenso wie als Leiter eines Supermarktes. Denn Letztere müssen haften, wenn jemand Schaden nimmt wegen Lebensmitteln mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum. Das ist die Rechtslage und einer der Gründe, weshalb das Containern, also das Entwenden weggeworfener Lebensmittel aus den Müllbehältnissen von Supermärkten, in Deutschland gesetzlich verboten ist.

Als nun vor einigen Wochen der Fall der beiden Studentinnen aus Olching publik wurde, denen wegen Containerns ein Gerichtsverfahren droht, hat Sabine Kemmet sich zu Wort gemeldet. Mit ihrer Facebook-Gruppe distanziert sich die zweifache Mutter ausdrücklich von diesem illegalen Weg. Containerer sind für die Emmeringerin auch keine Lebensmittelretter. Sie unterstützt auch nicht das Ziel der Studentinnen namens Franzi und Caro, nämlich vor Gericht einen Freispruch für ihr Tun zu erwirken, um das Containern zu legalisieren.

"Stellen Sie sich nur einmal vor, was dann passieren würde", sagt die kleine Frau mit der dunklen Kurzhaarfrisur. Und erinnert an ihre ersten Erfahrungen beim Verteilen geretteter Lebensmittel: "Am Anfang sind die bei mir fast in den Kofferraum reingekrochen", die Leute hätten jegliche Hemmungen verloren. Wenn sie sich dann vorstelle, wie das ablaufen würde, wenn jeder die Supermarktcontainer leeren würde. Allein schon der Müll, gibt sie zu bedenken, während sie ihre Styroporkiste und die beiden anderen aus Plastik füllt und anfallenden Abfall fein säuberlich in einer weiteren Kiste sammelt.

Für Toni Leich, Inhaber des Edeka-Marktes in Maisach, sind die Lebensmittelretter ein Glücksfall. Schon immer gibt er Lebensmittel an die Tafel ab, aber das geht nur zweimal in der Woche. An den anderen Tagen landeten die aussortierten Lebensmittel im Müll. "Wir sind sehr froh, dass wir Sabine gefunden haben. Wir sind es selber leid, die Sachen wegzuschmeißen", erklärt der Marktinhaber. Im Unterschied zu manchem Kollegen hat Leich einen Vorteil. "Ich bin selbständig, ich kann mit meinen Lebensmitteln machen, was ich will." Das ist in nicht inhabergeführten Edeka-Läden sowie in den großen Supermarkt-Ketten freilich anders. In der Regel werden die in den Müll geworfenen Lebensmittel stark gesichert. Anfragen wie die von Kemmet zur legalen Abgabe der Nahrung werden mit dem Verweis auf bürokratische Hürden abgeschmettert.

Sie habe von Leich viel gelernt, berichtet die Emmeringerin, die eigentlich Vollzeit im Vertrieb berufstätig ist. Denn Leich hatte bereits Erfahrung mit der Abgabe von Lebensmitteln. "Ich wusste auch, was ich nicht will", zum Beispiel eben, "dass die Verteilung nicht am Ort stattfindet" oder aber, dass er für die abgegebene Nahrung noch haftbar ist. Deshalb hat die Gruppe um Kemmet ein entsprechendes Schriftstück, eine Art Haftungsausschluss, aufgesetzt; jeder Abnehmer und freilich jeder Markt - derzeit ist es nur der Edeka Maisach - muss ihn unterschreiben. Darin bestätigt jeder Abnehmer, dass er "die volle Verantwortung für die Lebensmittel, die ich abhole", trägt und dass er "selbst entscheiden muss, ob diese für den Verzehr beziehungsweise die Weitergabe noch geeignet sind". Beiden fallen noch weitere Gründe gegen das Containern ein: die Verletzungsgefahr, wenn jemand im Müll wühlt und dabei zum Beispiel in Glasscherben greift, gesundheitliche Schäden durch verdorbene Lebensmittel oder solche aus Rückrufaktionen sowie all der Abfall, der vermutlich nicht ordentlich entsorgt würde.

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Quelle:
SZ vom 08.12.2018
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