Süddeutsche Zeitung

Interkulturelle Tage:Weit mehr als eine Moschee

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Bei einem Tag der offenen Tür präsentiert die türkisch-islamische Gemeinde Germering den Besuchern ihre Räume und macht deutlich, wie sehr sie im Leben der Stadt verwurzelt ist.

Von Florian J. Haamann, Germering

"Ich bin ja gebürtiger Germeringer, nicht ein Zugeroaster wie unser Bürgermeister Haas", sagt Attila Döger und erntet dafür einige Lacher. Döger war bis vor wenigen Tagen Vorsitzender der Türkisch-Islamischen Gemeinde in Germering. Zum Tag der offenen Moschee führt er durch die Gebetsräume und steht Rede und Antwort bei allen Fragen der Besucher - unter ihnen auch der angesprochene Oberbürgermeister. Mit seinem kleinen Scherz macht Döger aber auch etwas wichtiges deutlich: Mittlerweile leben die jüngsten Mitglieder der Familien der türkischen Gastarbeiter in fünfter Generation in Deutschland und sind längst ein fester Teil der Zivilgesellschaft. Für viele von ihnen ist die 2012 eröffnete Moschee in der Münchner Straße ein wichtiger Anlaufpunkt - ebenso wie für viele Flüchtlinge muslimischen Glaubens. Bis zu 600 Menschen kommen dort zum Freitagsgebet zusammen. Denn für Moslems ist der Freitag das, was für Christen der Sonntag ist, der heilige Tag, erklärt Döger, mit einer charmant-lockeren Art, die ihm die Aufmerksamkeit der Anwesenden sichert.

Um den Besuchern einen möglichst authentischen Eindruck vom Gemeindeleben zu zeigen, dürfen sie beim Mittagsgebet zuschauen. Etwa ein Dutzend Gläubige haben sich dazu in der Moschee versammelt, als Imam Ismail Furat mit "Allah-u Ekber", übersetzt etwa "Gott ist größer", zum Gebet ruft. Weil die Germeringer Moschee kein Minarett hat, geht er dazu lediglich in einen abgegrenzten Bereich im hinteren Teil des Gebetsraums. Während des Gebets steht der Imam in der Mihrāb, der Gebetsnische, die genau Richtung Mekka zeigt. Oder in Germering zumindest fast. "Wir haben etwa zwei Grad Abweichung, weil wir sonst viel Platz in der Architektur verloren hätten. Wir haben das vorher mit den Gelehrten geklärt", erzählt Döger später.

In der Sure geht es um Maria und Jesus

Damit auch die Besucher verstehen, worum es geht, übersetzt Gemeindemitglied Mehmet Dogangün die vorgelesene Sure 19 nach dem Gebet ins Deutsche. Sie erzählt von Maryam - wie Maria im Koran heißt - und Jesus, der im Islam nicht Sohn Gottes, sondern einer der Propheten ist. "Das ist einer der größten Unterschiede zum Christentum", sagt Döger. Etwa 20 Minuten dauert das Mittagsgebet, das in Pflichtteile, die der Imam mit singender Stimme vorspricht, und Einzelgebete aufgeteilt ist. "Das ist ein bisschen wie beim Eislauf: Pflicht und Kür", erklärt Döger im Anschluss. Genauso wichtig, wie das Gebet selbst, sei die vorhergehende Reinigung, "sonst zählt es nicht".

Oft wird Döger an diesem Nachmittag das Verbindende herausstellen, zeigt das Bild eines weitgehend offenen, liberalen Islam. Diejenigen, die im Namen des Islam Gewalt und Terror verüben, hätten den Glauben nicht verstanden, seien alles, aber keine Moslems. "Das ist eine Frage der Bildung". Ja, natürlich stehe die Kopftuchpflicht im Koran. Aber eben auch, dass man niemanden zu etwas zwingen darf und deshalb letztlich jeder und jede selbst über seine Handlungen entscheidet. Gleiches gelte übrigens für die Verhüllungspflicht des Mannes, die für den Bereich von etwa Knie bis Bauchnabel reicht, ergänzt Imam Furat.

Er ist erst seit wenigen Monaten Imam der Germeringer Moschee. Frei wählen kann die Gemeinde ihren sogenannten Religionsbeauftragten nicht. Sie ist Teil von Ditib, der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion. Ditib ist der Dachverband von etwa 900 Gemeinden in Deutschland und untersteht dem Präsidium für religiöse Angelegenheiten in der Türkei, das direkt dem Präsidenten unterstellt ist. Immer wieder gibt es deshalb Vorwürfe der politischen Einflussnahme. Den Germeringer Verein gibt es seit 1995. "Unsere Gründer haben damals entschieden, unter dem Dach der Ditib zu sein. Warum das so ist, weiß ich heute nicht." Manchmal sei es ein bisschen politisch, aber man hoffe, dass das irgendwann vorbei ist, sagt Döger vorsichtig. Viel lieber verweist er darauf, wie gut die Germeringer Gemeinde in die Gesellschaft integriert ist, sich an Festen und anderen Veranstaltungen beteiligt. Und er betont, dass die Türen der Moschee immer für Gäste offen stehen, wer möchte, sei jederzeit willkommen.

Ihre Gastfreundschaft stellt die Gemeinde auch an diesem Nachmittag unter Beweis, lädt nach dem Gebet in den gemütlichen Gemeinschaftsraum ein. Die Besucher werden gebeten, auf den Sofas Platz zu nehmen, es werden Cay - türkischer Tee - und Gebäck gereicht. "Bei uns in der Türkei gibt es ein Sprichwort: Lass uns süß essen, damit wir süß reden können", sagt Döger.

In allen Räumen stehen Fernseher

Frisch gestärkt geht es für die Besucher des offenen Tages der Moschee, der eine der Abschlussveranstaltungen der interkulturellen Tage ist, dann ins Untergeschoss des Gebäudes weiter. Dort finden sich neben dem Gebetsraum der Frauen und einen Raum für den "Kindergarten" auch ein Jugendraum. Auffällig sind die Fernseher in allen Räumen. Auf sie wird beim Freitagsgebet das Geschehen aus dem Hauptraum übertragen, denn dort gibt es nicht ansatzweise genug Platz für die bis zu 600 Gläubigen, die zum wichtigsten Gebet der Woche in die Moschee kommen. Wie denn entschieden wird, wer dabei welchen Platz bekommt, will eine Besucherin wissen. "Wer zuerst kommt, malt zuerst", sagt Döger. "Der Einzige, der seinen Platz sicher hat, ist der Imam".

Wichtig ist dem Verein auch die Jugendarbeit. Deshalb gibt es am Wochenende für eine Kindergartengruppe und für die etwas älteren Kinder Unterricht, in dem sie unter anderem den Koran lesen und die arabische Schrift lernen. An der Decke des Raumes hängen aktuell bunte Sterne mit den 99 Namen, die im Koran für Allah verwendet werden, etwa "der Starke", "der Ewige" oder "der Nachsichtige". Eine Eigenschaft, auf die auch Döger vertraut. Ob er denn selbst fünf Mal am Tag betet? "Nicht immer, manchmal bin ich auch faul."

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