Süddeutsche Zeitung

Mobilität:Mit Rikscha und Lastenrad

"Stadtraum statt Parkraum" ist das Motto des ersten Aktionstags in Olching, der zeigen soll, wie sich alle Verkehrsteilnehmer die Straße teilen können. Das Konzept geht nur teilweise auf

Von Ingrid Hügenell, Olching

Auf der Hauptstraße geht es nur langsam voran, viele Autos quälen sich durch die Stadt. Vom Kreisverkehr bis zur Wolfstraße gilt an diesem Samstag Tempo 30, Parkplätze sind gesperrt worden. In Olching findet der erste städtische Aktionstag "StadTraum statt Parkraum" statt. Er soll zeigen, dass sich die Hauptstraße von Autofahrers, Radlern und Fußgängern gleichberechtigt nutzen lässt. Der zweite ist für 5. September geplant. Rikscha-Fahrer transportieren Menschen und Einkäufe kostenlos zu ihren Autos auf dem Volksfestplatz, zur Eisdiele oder zum Bahnhof.

"Die Leute sollen überlegen: Brauch' ich das Auto wirklich oder geht es auch anders?", beschreibt Michael Kircher eine Zielsetzung des Tags. Der Grünen-Stadtrat hat die Aktionstage initiiert, die der Stadtrat mehrheitlich beschlossen hat. Ursprünglich sah seine Idee vor, die Hauptstraße komplett zu sperren, doch das Konzept haben die Grünen zusammen mit der ÖDP modifiziert. Denn die Hauptstraße führt als einzige große Straße unter der S-Bahn hindurch. Auch viele Bauern nutzen sie, gerade jetzt, in der Erntezeit. Viele haben offenbar beschlossen, dass sie ihr Auto an diesem Tag brauchen.

Die gesperrten Parkbuchten hat die Stadtverwaltung mit Mobiliar bestückt, das zum Sitzen einladen soll, die Olchinger sollen in der Hauptstraße flanieren und so das urbane Leben stärken. Doch kaum jemand flaniert, und die provisorischen Sitzgelegenheiten sind ebenso verwaist wie die Strandkörbe und Bänke vor dem Café. Es ist schon vormittags sehr heiß. Der Aktionstag ist überdies sehr kurzfristig anberaumt worden, so dass viele Olchinger und Auswärtige ihn vorher vermutlich gar nicht mitbekommen haben.

Die Aktion soll auch auf das Rad als Verkehrsmittel aufmerksam machen. Denn im Moment trauen sich offenbar viele Menschen nicht, mit dem Fahrrad durch die Hauptstraße zu fahren. So berichtet es Kirsten Zimmermann, 38. Die Olchingerin ist bei der Lastenfahrrad-Kolonne mit etwa einem Dutzend Teilnehmer um 10 Uhr mitgefahren, "weil Olching fahrradfreundlicher werden soll". Das sei ihr ein Herzensanliegen. Sie nutze ein Lastenrad, seit Tochter Emma, 7, auf der Welt ist. Das Mädchen ist am Samstag selbst mit dem Rad da, ihr Bruder Noah, 1, sitzt vorne auf der Bank in der Transportbox des Rads. Wenn Emma selbst radle, fahre sie sonst nicht durch die Hauptstraße, sagt Zimmermann, wegen der extremen Verkehrsbelastung. "Viele Leute könnten locker mit dem Rad fahren, trauen sich aber nicht." Gerade von Älteren habe sie das schon oft gehört. Zimmermann fände es gut, wenn es statt der Parkbuchten einen extra Fahrradstreifen gäbe.

Anita Wennek und Maria Weidemann von "Treffpunkt Wagner" sind skeptisch, wenn sie von Verkehrsberuhigung hören. Das Geschäft, das Büro-und Schulbedarf, Spiele und Bücher verkauft, hat Verkaufsstände in den Parkbuchten aufgebaut. So versuche man wenigstens ein bisschen zu kompensieren, dass der Marktsonntag im Frühling wegen der Coronakrise ausgefallen ist. Auf Dauer wäre das aber nichts, wenn die Stellplätze wegfielen, sagen Wennek und Weidemann: Weniger Parkplätze würden ihrer Ansicht nach weniger Kunden bedeuten.

Das sieht Ulrike Girtner, Stadträtin der ÖDP, anders. Sie glaubt, dass sogar mehr Kunden kommen, wenn der Autoverkehr geringer wird und rechnet vor: Auf einem Autoparkplatz könnten sechs Fahrräder abgestellt werden. Wenn diese sechs Radler mit dem Auto in die Innenstadt gefahren wären, hätten sie sechs Parkplätze belegt. Im Idealfall könnten also trotz der Umwidmung mehr Parkplätze zur Verfügung stehen, und der Aufenthalt in der Stadt wäre für alle angenehmer. Girtner erklärt auf Nachfrage der SZ zusammen mit dem Verkehrs- und Stadtplaner Stefan Plate aus Gröbenzell, was die Aktionstage bewirken sollen. Die Menschen sollten Lust bekommen, zum Einkaufen oder für Transporte das Lastenrad zu nehmen. Dafür will Girtner im Stadtrat einen Zuschuss der Stadt für die Anschaffung solcher Räder beantragen. In Fürstenfeldbruck, Puchheim und auch in München gebe es solche Zuschüsse bereits. Plate erklärt die "finale Ausbaustufe" eines Straßenraums, den sich Verkehrsteilnehmer teilen: "Die Autofahrer müssen Rücksicht nehmen. Es fahren nur noch die Menschen durch, die wirklich müssen: Mobilitätsbehinderte, Dienstleister und so weiter." Die Aufenthaltsqualität steige, griffig zusammengefasst unter dem Motto: Party statt Parkplätze. Dazu müssten die Freischankflächen in den Parkbuchten begrünt und überdacht sowie bewirtet werden, sagt Plate. Um das zu organisieren sei die Zeit jetzt einfach zu knapp gewesen, erklärt Girtner.

Auch die SPD hat sich der Aktion angeschlossen und einen Infostand aufgestellt. Die CSU aber nicht. Zweiter Bürgermeister Maximilan Gigl sagt am Samstag, er habe der Aktion nicht zugestimmt und auf dem Markt auf dem Nöscherplatz viel Negatives und Unverständnis vernommen. Maria Hartl, stellvertretende Fraktionssprecherin, und Gewerbereferent Marcel Gemmeke (beide CSU), kritisierten den Aktionstag in einer Pressemitteilung vom Sonntag scharf als "chaotisch und provokativ - gleichgültig und verantwortungslos". Es habe "Gefahr für Leib und Leben" bestanden. Tatsächlich kam ein 61-jähriger Radfahrer zu Sturz und verletzte sich leicht. Laut Polizeibericht war ein Autofahrer zu knapp vor ihm eingeschert, nachdem er ihn mit zu wenig Abstand passiert hatte. Der Mann hatte an der Demo "Critical Mass" teilgenommen, mit der Radler auf sich als Verkehrsteilnehmer aufmerksam machen wollen.

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Quelle:
SZ vom 03.08.2020
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