Mobilität:Gefährt mit Geschichte

Bauernhofmuseum Jexhof

Das präautomobile Statussymbol auf dem Land war der "Doktorwagen". Dieses Kutschenmodell stammt von der Familie Sepp Kellerers.

(Foto: Matthias F. Döring)

Das Bauernhofmuseum Jexhof rückt einen sogenannten Doktorwagen in den Mittelpunkt einer Ausstellung. Die Kutsche stammt vom Mesmerhof in Aich

Von Peter Bierl, Schöngeising

Von der Vergangenheit direkt in die Zukunft hätte die Reise gehen können, ohne Extratour in die Gegenwart mit Benzin- und Dieselkutschen, die Klima und Umwelt ruinieren. Der Coburger Fabrikant Andreas Flocken konstruierte 1888 das erste vierrädrige Elektroauto der Welt. Als Grundlage verwendete er eine Kutsche, den sogenannten Doktorwagen. Flockens Erfindung blieb ein Unikat, aber die pferdebespannte Chaise lange in Gebrauch. Ein Exemplar wird während der Kulturtage in einer kleinen Sonderausstellung im Jexhof gezeigt.

Das Modell hat der frühere Brucker Oberbürgermeister Sepp Kellerer dem Museum als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt. Es war stets ein Glanzstück unter den Gefährten, die in der Remise zu sehen sind, aber jetzt wird die Kutsche in den Mittelpunkt gerückt. Texttafeln, Fotos, Bauplänen und Zeichnungen erschließen den Kontext auf ansprechende und informative Weise. Die Kutsche steht für einen Aspekt der Sozialgeschichte auf dem Land.

Als Doktorwagen, manchmal auch Pfarrerwagen, bezeichnete man eine kleine, zweiachsige Kutsche, die nicht von Bediensteten, sondern vom Herrn oder der Dame selbst gefahren wurde, gerne von Ärzten und Geistlichen, daher der Name. Dieser Kutschentyp war leicht, ohne Türen mit Klappverdeck und Lederschürzen zum Schutz der Mitfahrenden. Meist wurden eher ruhige Pferde angespannt, die die Gegend und die Wege gut kannten. Neben dem Gäuwagerl war eine solche Chaise der Stolz eines jeden Besitzers auf dem Land. Aber nur größere Bauern, die Pferde besaßen, konnten sich eine leisten, weshalb auch die sozialen Verhältnisse auf dem Hof und die Familiengeschichte der Kellerers in der Ausstellung behandelt werden. Der Mesmerhof in Aich zählte damals zu den größeren Betrieben im Landkreis, mit etwa 32 Hektar Grund. Es wurde Milchwirtschaft betrieben mit etwa 20 Kühen unddem Jungvieh.

Die wertvolle Kutsche hat sich einer von Sepp Kellerers Vorfahren geleistet, wahrscheinlich die Urgroßeltern. Seit etwa 1900 dürfte der Wagen auf dem Mesmerhof in Aich gestanden haben, schätzt Museumsleiter Reinhard Jakob. Die Kutsche wurde für Besuche bei Verwandten, zum Einkaufen, zum Einkehren, bei Feierlichkeiten, Hochzeiten oder Kindstaufen und anderen besonderen Anlässen verwendet.

Das Fahren erforderte Erfahrung und Geschick, angesichts der damaligen Straßenverhältnisse. Die Kutsche ist zwar mit zwei Petroleumlampen ausgestattet, aber die Backenbremse, die zum Hinterrad führt, sieht arg windig aus, und die eisenbeschlagenen Räder haben überhaupt kein Profil.

Einmal kurz nach Kriegsende warf Kellerers Vater das Fahrzeug auf dem Weg von Bruck nach Aich um, mitsamt einer seiner Töchter. Die Reviersförsters-Gattin Johanna Deigl aus Schöngeising stiftete 1839 dem heiligen Rasso eine Votivtafel, weil ein Unfall glimpflich ausging.

Der Doktorwagen wurde ab 1880 hergestellt, meist vom Wagner montiert, der sich die Einzelteile vom Schmied und vom Sattler besorgte. Die Metallteile wurden später auch von Fabriken in Serie gefertigt. Der Unterbau besteht aus dem Vorderwagen mit Rädern, Deichsel und Drehkranz. Auf dem Drehkranzunterteil sitzt das Drehkranzoberteil des Wagenhinterteils. Die beiden Drehkranz-Teile sind durch den Königsbolzen miteinander verbunden. Über ihn wird die Kraft der Zugpferde auf den Wagen übertragen. Die Federung sitzt auf den Achsen und trägt den Wagenkasten.

Bis Anfang 1950 war der im Jexhof gezeigte Doktorwagen auf dem Mesmer-Hof in Gebrauch. Josef Kellerer senior legte sich erst ein Motorrad zu, es folgte 1956 ein VW Käfer, das Statussymbol des Wirtschaftswunderlandes. Der Doktorwagen hatte ausgedient.

Die Sonderausstellung über den Doktorwagen ist bis Sonntag, 2. Juni, im Bauernhofmuseum Jexhof in Schöngeising zu sehen.

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