Mitten in Puchheim:Sangesfrohe Botschaften

"Freude schöner Götterfunken" sollen die Puchheimer zum Jahreswechsel um Mitternacht in die Welt hinausschmettern. Das setzt, dass man seinen Schiller und dessen berühmtes Gedicht kennt. Und Beethovens Werk natürlich auch

Glosse von Christian Hufnagel

Mit dem gemeinen Liedgut und dessen praktischer Anwendung ist es nicht allzugut bestellt. Wo singt der Mensch denn heutzutage noch so naturgemäß wie er zu reden weiß? Auf der Straße zur Arbeit, im Büro am Laptop, im Supermarkt vor dem Obstregal? Nicht einmal die Dusche scheint als einst berühmteste Enklave des Privatgesangs noch Rückzugsort zu sein. Und gemeinsam bleibt es musikalisch im Alltag schon seit langem stumm. Kein Hausgesang, kein Wandergruppenchor, kein Liebesduett. Diese Stille vermögen nun im Landkreis Initiativen zu durchbrechen, die aus der Not der Corona-Kontaktbeschränkungen geboren wurden. So versuchten die Türkenfelder das abgesagte Weihnachtssingen in anderer Form ertönen zu lassen. Am vierten Advent folgten einige dem Aufruf, vor die Haustüre zu treten und "Fröhliche Weihnacht überall" anzustimmen. Und so "tönte durch die Lüfte froher Schall", wie die eingängige Komposition aus dem 19. Jahrhundert frohgemut in der ersten Strophe anhebt.

Weil ein solcher Weihnachtsschlager bereits aus den Ohren verklungen ist, legen Puchheims Blasorchester und Posaunenchor für Silvester mit einer in jedem Fall noch anspruchsvolleren Sing- und Musizieraufforderung nach. Nichts weniger als "Freude schöner Götterfunken" sollen die Bürger zum Jahreswechsel um Mitternacht in die Welt hinausschmettern, was allerdings voraussetzt, dass man seinen Schiller und dessen berühmtes Gedicht kennt und Beethovens nicht weniger berühmte Vertonung "Ode an die Freude" melodisch parat hat. Unter Druck muss man sich dennoch nicht fühlen. Wer kein Instrument spiele, könne gerne alles, was klinge, verwenden, versuchen die Organisatoren zu beruhigen und schlagen Topf und Kochlöffel vor. Die Ambition scheint nicht weniger pathetisch als das Stück selbst zu sein: "Wir wollen mit Musik statt Feuerwerk das neue Jahr begrüßen und die Geister des alten Jahres vertreiben." Und wenn sich die Corona-Dämonen aus dem Staub gemacht haben, mag der Landkreis zu einem Elysium werden, in dem ein alter Sinnspruch Wirklichkeit wird: "Wo man singt, da lass' dich ruhig nieder, / böse Menschen haben keine Lieder."

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