Süddeutsche Zeitung

Mitten in Puchheim:Eine Stadt sieht rot

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Der Blick auf den MVV-Netzplan offenbart eine Lücke bei der Barrierefreiheit

Kolumne von Peter Bierl

Finde den Fehler, rät Bürgermeister Norbert Seidl (SPD) in einer Nachricht in den sozialen Medien. Recht hat er. Ein Blick enthüllt den Missstand. Überall auf der Grafik des MVV sind Bahnhöfe mit roten und grünen Kreisen und dem Piktogramm eines Rollstuhlfahrers zu erkennen. Bloß nicht in Puchheim, der einzigen nicht barrierefreien Station auf diesem Ausschnitt des Münchner S-Bahn-Netzes. Eine kolossale Ungerechtigkeit, Missachtung mit Tradition. Jahrzehntelang diente Puchheim als Müllkippe von München, seitdem als großes Arbeitnehmerschließfach. Und heute müssen sich Rollstuhlfahrer, ältere Menschen mit Rollatoren, Eltern mit Kinderwägen und Reisende mit Gepäck über die Treppe auf den Mittelbahnsteig plagen.

Hebt man den Blick über den Tellerrand und betrachtet die komplette MVV-Grafik, zeigt sich, dass auch Grafrath nicht barrierefrei ist, von den Regionalbahnhöfen in Althegnenberg und Haspelmoor ganz zu schweigen. Bei den Nachbarn ist die Haltestelle in Weßling schwer zugänglich und in Starnberg ebenso, aber die fahren ihre Golftaschen und Yogamatten sowieso lieber im SUV spazieren, als mit Proleten die Bahn zu teilen.

Dass Bürgermeister Seidl ausgerechnet diesen Teil der Grafik gewählt hat, ist durchaus berechtigt. Der Ausschnitt zeigt, dass von allen großen Kommunen am westlichen Stadtrand, also überall dort, wo richtig viele Pendler einsteigen, lediglich Puchheim nicht barrierefrei ist. Staatsregierung und Bahn AG wollten eine Schmalspurlösung, einen engen Tunnel mit Lift, zugleich wäre der dreigleisige Bahnausbau an der Stelle zementiert worden. Das Verkehrsministerium gab dann dem Protest der Puchheimer nach, zur Strafe müssen sie noch ein Jahrzehnt auf den Umbau warten. Der Ärger des Bürgermeisters ist also durchaus berechtigt, ebenso die Frage, wo die Unterstützung der Landtagsabgeordneten bleibt (abgesehen von jenem aus Gröbenzell, der Bahn und Rad fährt). Die AfD ist ja monothematisch auf Herrenmenschen fokussiert, aber die Vertreter von CSU und FW dürfen gerne auch jenseits des Wahlkampfes Engagement zeigen.

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Quelle:
SZ vom 28.07.2020
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