Mitten in Puchheim:Bürgermeister als Corona-Barde

Besondere Zeiten brauchen besondere Lieder: Norbert Seidl, Gitarrist und Rathauschef, hat einen zeitgemäßen Text zu "Atemlos" geschrieben

Kolumne von Florian J. Haamann

Jede Zeit braucht ihre Hymne. Schon immer haben große Dichter und Sänger, die großen Ereignisse ihrer Zeit in epochalen Werken festgehalten. Und gerade in Krisenzeiten ist es die Musik, die Mut und Hoffnung machen kann. Wer eine bewegende Melodie im Ohr hat, der spürt, es wird schon alles gut, Angst und Sorgen werden vergehen, Tränen trocknen. In ruhigen Zeiten, wenn es nichts Weltbewegendes zu besingen gibt und der Weltschmerz nur im einzelnen stattfindet, kann das schon mal zu akustisch-textlichen Absurditäten führen. So haben sich die Deutschen in den vergangenen Jahren mit lyrischen Tiefpunkten wie "Hodi odi ohh di ho di eh/ Hodi odi ohh di ho di eh/ Hodi odi ohh di ho di eh/ Hodi odi ohh di eh" durch die Trostlosigkeit der kapitalistischen Vereinsamung betäubt und atemlos durch die Nacht nach Liebe und Abenteuer gegröhlt. Doch nun sind sie da, die große Krise, die Einsamkeit, die soziale Distanzierung.

Doch wo bleiben sie, die großen Lieder? Wo Fischer, Forster und Fler schweigen, da springt einer ein, der sich sowohl in der Rolle des Alleinunterhalters wie auch des Schäfchen-Trösters wohlfühlt: der Puchheimer Bürgermeister Norbert Seidl. Ausgerechnet zu Helene Fischers "Atemlos" hat er ein Lied geschrieben, das das Potenzial hat, zur echten Corona-Hymne zu werden. Zu finden ist sein Werk auf Youtube. Mit seiner Gitarre sitzt er da in einem Dachzimmer vor der Kamera und singt einfach los. "Wir ziehen durch die Straßen und Geschäfte dieser Stadt. Das ist jetzt das Leben, nicht für uns gemacht. Oho, oho", singt er zu Gitarrenklängen, mit denen er an jedem Feriencamp-Lagerfeuer der Star wäre. Echte Ohrwurmqualität aber bietet dann der Refrain: "Mit Atemschutz durch die Stadt, bis die neue Zeit erwacht. Einfach raus, geht nicht mehr. Ich bleib zu Haus', fällt das auch schwer." Unter anderen Umständen könnte das einfach nur lustig sein in all seiner Amateurhaftigkeit. Gerade aber ist es genau das richtige Lied, die richtige Geste. Weil es so authentisch präsentiert ist, so aufrichtig, anrührend, verzweifelt und hoffnungsvoll zugleich. Einige Hundert Aufrufe hat das Video aktuell. Man wünscht sich, dass es bald das einzige ist, was in diesen Tagen viral geht.

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