Mitten in Maisach:Treffpunkt Tankstelle

Auf den Straßen von Maisach begegnet man kaum noch Menschen. Um so erstaunlicher deshalb, zu was für einer Begegnung es in einer Tankstelle kommt

Kolumne von Ariane Lindenbach

Wie oft wurde schon das hohe Tempo, die Schnelllebigkeit unserer Zeit beklagt? Die Reizüberflutung durch Smartphone, Tablet und Co. Apps, die einem direkt nach dem Erwachen die neuesten Nachrichten servieren. Oder einen buchstäblich auf Schritt und Tritt überwachen, das persönliche Tagespensum an Bewegung sowie die Qualität des Schlafs messen. Und mit einem Mal fühlt es sich an, als hätte jemand plötzlich die Handbremse gezogen. Spätestens seit Ministerpräsident Markus Söder die Ausgangsbeschränkung wegen des Coronavirus verkündet hat, scheint sich die Welt langsamer zu drehen. Und das, obwohl all die digitalen Benefits weiterexistieren - und uns beim allgemeinen Zu-Hause-Bleiben wertvolle Dienste erweisen. Doch schon allein die Tatsache, dass alle daheim sind, scheint das Tempo rauszunehmen. Und Dinge zu verändern.

Der sonntägliche Spaziergang durch Maisach hat fast schon etwas Gespenstisches an sich. Die Straßen sind weitgehend menschenleer. Kein Wunder, dass sich der Begriff "Geisterspiel" für Fußball-Matches ohne Publikum etabliert hat. Ein einsamer Jogger kreuzt in einiger Entfernung die Straße. Es vergeht eine ganze Weile bis zur nächsten menschlichen Begegnung: eine Frau mit Hund. Die Tankstelle im Ortszentrum hat geöffnet, doch von Kunden keine Spur. Selbst auf den Straßen fährt nur selten ein Auto vorbei.

Am Ortsausgang Richtung Gernlinden ist eine junge Familie unterwegs, die beiden Buben so sechs und acht. Die vier kicken sich im Gehen immer wieder einen Fußball zu. Irgendwie muss man ja seine Energie loswerden. Dann ist wieder alles leer.

Endlich ist das selbst gesetzte Ziel, die Tankstelle beim Rewe, erreicht. Als wäre die Situation nicht schon surreal genug, tauchen mit einem Mal lauter Autos auf: eins, zwei, drei, vier. Hintereinander biegen sie zur Tankstelle ein und parken um den Fahrradfahrer, der soeben sein Radl abstellt. Im Shop trifft man aufeinander, wobei der empfohlene Mindestabstand von 1,5 Meter natürlich eingehalten wird. Doch was wollen sie hier? Haben sie in der allgemeinen Ausnahmesituation wichtige Einkäufe versäumt? Stehen kurz vor dem Verhungern? Doch nein. Drei der fünf sich offenbar nicht bekannten Personen stehen vor den Zeitschriften. Anscheinend macht die Ausgangsbeschränkung Lust aufs Lesen, sogar auf die altmodische Variante auf Papier! Da Lesen ja bekanntlich bildet, birgt also auch die größte Krise noch die Chance auf einen positiven Nebeneffekt.

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