Süddeutsche Zeitung

Mitten in Maisach:Als Landei im S-Bahn-Chaos

Lesezeit: 1 min

Wer nach München will, kann schon auf der Fahrt im Öffentlichen Personennahverkehr einiges erleben

Kolumne von Ariane Lindenbach

Als ahnungsloses Landei, welches das Glück hat, nicht allmorgendlich mit unzähligen Unbekannten dicht zusammengequetscht in einer S-Bahn nach München zum Arbeiten fahren zu müssen, ist man zwangsläufig mit einer gewissen Naivität gesegnet. Das Personensammelgefährt auf den glänzenden Gleisen suggeriert beim sporadischen S-Bahn-Fahrgast irgendwie Zuverlässigkeit und, ja - da mag der erfahrene Pendler schmunzeln oder in hysterisches Gebrüll verfallen - auch eine Form von Pünktlichkeit. Obschon freilich selbst das Landei schon mal was gehört hat vom berühmten Münchner S-Bahn-Chaos.

Mit diesem Hintergrund-Nichtwissen wählt also das Landei für einen wichtigen Morgentermin in München als Transportmittel die S-Bahn. Denn dass das Auto in der Rushhour in München höchstens als Katalysator für verdrängte Aggressionen dienen kann, ist selbst dem Naivsten klar. Schließlich stockt der Verkehr inzwischen auch auf dem Land so arg, dass man es bemerken muss. Und so vergeht die erste Viertelstunde am S-Bahngleis Maisach mit sorgloser, naiver Warterei. Doch als auch die Abfahrtszeit für die laut Fahrplan zweite S-Bahn ohne Durchsage oder Gemurre der vielen Wartenden verstreicht, fragt das Landei bei den offensichtlich erfahreneren Fahrgästen nach.

Resigniertes Kopfschütteln und Schulterzucken sind die ersten Reaktionen. "Personen im Gleis", ruft da ein Herr im Anzug in die Menge. Die Umstehenden reagieren dankbar, obwohl er nur von "erheblichen Verzögerungen" spricht, nicht mehr. Aber in dem Informationsvakuum, in das die DB Regio Bayern als Betreiber der S-Bahn ihre Fahrgäste schickt, ist man für jeden noch so kleinen verwertbaren Inhalt dankbar. Selbst als nach einer halben Stunde auf dem Bahnsteig die erste Durchsage kommt, ist die Dankbarkeit der Wartenden geradezu greifbar - wenngleich aufgrund der Akustik kaum einer den Text versteht. Jedenfalls dauert es nur noch Minuten, bis tatsächlich eine S-Bahn Richtung München kommt. Dort, in der Landeshauptstadt, endlich und nur mit geringer Verspätung am Ziel angekommen, ist man über das Erscheinen des Landeis überglücklich: Man habe Termine mit weiteren Klienten. Aber die seien alle vom S-Bahn-Chaos aufgehalten worden.

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Quelle:
SZ vom 28.09.2019
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