Süddeutsche Zeitung

Mitten in Germering:Erst Zugvogel, dann Bodenbrüter

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In Puchheim sind ihnen die Menschen zu lästig geworden, jetzt haben die Saatkrähen eine neue Heimat gefunden

Kolumne von Stefan Salger

Die Evolution wird auf absehbare Zeit über die Menschheit hinwegziehen wie der Orkan über die Blumenwiese. Margeriten und Menschen könnte das den Kopf kosten. Wahrscheinlich tummeln sich bald nur noch Hunderte Arten klimaresistenter Kakerlaken an Land, Quallen sowie Schleimwürmer mit Appetit auf Plastik im Wasser und gehässig krächzende Saatkrähen in der Luft. Wie man sich anpassen könnte, wäre der Wille denn da, ist im Landkreis zu sehen.

Während Homo sapiens an der Scholle klebt und sich beschwert über die in den Himmel schießenden Immobilienpreise, die Gefahren der Globalisierung, Gott und die Welt sowie den Stillstand auf dem Brucker Viehmarktplatz, zeigt uns Corvus frugilegus, wie ein Zweibeiner von Format Herausforderungen annimmt: mit breiter Brust, Flexibilität und Lernbereitschaft. Eigentlich sind die unter Artenschutz stehenden Saatkrähen in den Mehrgenerationenbäumen Puchheims dahoam. Missliebige Nachbarn, die kein Herz haben für mitteilungsbedürftige Vögel, haben dort so lange Rabatz gemacht, bis die Zweibeiner im schwarzen Frack doch noch Plan B - oder besser Plan G - aus der Schublade geholt haben: Die Tiere suchen ihr Glück in der Ferne. Bereits ein paar Kilometer weiter haben die Zugvögel ihre neue Wahlheimat erreicht: das von Baumkronen überspannte Germering. Das Problem wurde also nur von Puchheim in die Nachbarstadt verlagert - ein Effekt, den Kommunen von Umfahrungen kennen. Im Germeringer Erika-Park jedenfalls hat eine Biologin 62 Aussiedler-Nester gezählt.

Jüngst ist jemand auf die glorreiche Idee gekommen, in Germering die Bäume zu fällen, um die Heimatvertriebenen ihrer Nistplätze zu berauben. Wer so was vorschlägt, verkennt die Gründe für den Höhenflug von Kakerlake, Wurm und Co. Saatkrähen sind für evolutionäre Herausforderungen gerüstet, sie wissen sich umzustellen. Gut möglich, dass Germeringer, die in ferner Zukunft den Blick über die baumlosen Weiten ihrer flachgelegten Stadt schweifen lassen, sich von der Lernfähigkeit der Vögel überzeugen können. Denkbar, dass diese sich an Lerche oder Weihe orientiert und bereits auf Bodenbrüter umgesattelt haben.

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Quelle:
SZ vom 23.03.2019
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