Mitten in Germering:Die Baustelle als Seelengrube

Der Bürger an sich ist ja ein empfindliches Wesen

Von Christian Hufnagel

Der Bürger an sich ist ja ein empfindliches Wesen. Er ärgert sich schnell über alles, was einen nur irgendwie ärgern kann. Gerade Dinge im öffentlichen Raum können ihn sekündlich in Rage bringen. Eine Ampel, die zu schnell oder zu langsam schaltet; ein Bürgersteig, der fehlt oder unnütz ist; eine Straße, die zu breit oder zu schmal ist. Willkürliche Kleinigkeiten, die allerdings als Wutauslöser verblassen gegenüber den unumschränkten Emotionsbeherrscher des Alltagsleben: die Baustelle. Sie lärmt, schmutzt und behindert. Und weil man in jedem Rathaus die psychische Anfälligkeit seiner Pappenheimer an diesem wunden Punkt kennt, wird jede Tätigkeit auf den Straßen vorausschauend angekündigt, ausführlich erläutert und präventiv entschuldigt. Als Musterbeispiel sei die jüngste Pressemitteilung des Brucker Bürgermeisters zur "Straßeninstandsetzung durch Spritzdecken" genannt, welche bis Ende des Monats die Bewohner mit "Staubbildung sowie Lärmbelästigung" nerven könnte, weshalb Klaus Pleil "um Verständnis für die eventuell auftretenden Belästigungen" bittet.

Mit einer dürren Pressemitteilung ist es hingegen in Germering nicht getan. In der Nachbarstadt hat man schließlich eine Baustelle aufgemacht, die mit dem ersten Rumoren des Presslufthammers als furchterregend eingeschätzt wurde, was das Beschwerdepotenzial angeht, welches sie ausgraben könnte. Wer den sogenannten Kleinen Stachus anbaggert, muss wohl mit wütenden Autofahrern, Anwohnern, Passanten und Geschäftsleuten rechnen. So scheut die Stadt keine Mühen und Kosten, um besänftigend zu wirken. 20 000 Euro für einen Asphaltweg für einen (Marktsonn-)Tag, 15 000 für Beschilderungen, 7000 für Einkaufsbanner an Bauzäunen und 5000 für Informationsblätter ganz allgemein. Und einmal im Monat gibt es ein Update für die Bürger - mitten im Lärm der Maschinen.

Die beste aller vertrauensbildenden Maßnahmen sind freilich nicht Flyer und Banner, sondern ist der Bürgermeister höchstpersönlich. So hat sich Andreas Haas zum "Spaziergang im Mai 2015" aufgemacht und unter diesem Titel den Ausflug als Presseinfo dokumentiert und verschickt. Es ist allein künstlerisch beeindruckend, was er um die Skizze einer künftigen Platz-Idylle herum zur Collage kreiert hat. Acht Fotos, auf denen der Rathauschef in die Kamera lächelt - mit dem Blumenhändler an seiner Seite, dem Weinverkäufer, der Floristin, der Apothekerin, der Boutiquen-Betreiberin und so weiter. Wer nun argwöhnt, die Foto-Collage von Selfies diene seiner Eitelkeit, denkt zu kurz. Sie ist wohl eher aus einer Grunderfahrung des Kommunalpolitikers geboren: Noch empfindlicher als der Bürger an sich ist der Bürger als Einzelhändler. Kein Weg zu ihm kann daher zu lang, keine Werbung für ihn zu gering sein.

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