Mitten in Fürstenfeldbruck:Die Kirche mauert sich ein

Warum eine Pforte der Barmherzigkeit vollgeziegelt wurde

Von stefan salger

Könnte es sein, dass sich Geschichte eben doch wiederholt? Wir erinnern uns. Es ist der 15. Juni 1961. 506 Kilometer nordöstlich von Fürstenfeldbruck sitzt der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht auf einem Podium und beantwortet die Frage einer Dame von der Frankfurter Rundschau. Er nippt am Wasserglas, schaut durch seine Brille hierhin und dorthin und zwirbelt sich das silbergraue Bärtchen. Irgendwann sagt er dann nach einer kurzen Denkpause mit Fistelstimme: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten." Das sitzt. Zwei Monate später wird die Berliner Mauer gebaut, mit der die DDR verhindern will, dass ihr die Arbeiter und Bauern davonlaufen.

In der heutigen Welt mit all der Transparenz und all dem Facebook und Gezwitscher und der NSA ist so ein Täuschungsmanöver undenkbar. Und so wundert es einen kaum, dass gar nicht erst versucht wird, den Mauerbau 506 Kilometer südwestlich von Berlin herunterzuspielen. Stadtpfarrer und Dekan Albert Bauernfeind sitzt auf keinem Podium, blickt nicht aus treuen Augen durch dicke Brillengläser und streicht sich nicht über den Dreitagebart. Stattdessen räumt der Pfarrverband in einer Mitteilung vom 19. November 2015 unumwunden ein, bereits drei Tage später zur Maurerkelle greifen zu wollen. Am Sonntag folgen den Worten dann Taten. Ministranten setzen aller milden Nachsicht ein jähes Ende. Die Pforte der Barmherzigkeit alias das Nebenportal wird verrammelt und vollgeziegelt bis oben hin. Kein Durchkommen mehr für Arbeiter und Bauern und all die anderen.

Dass dies eine Maßnahme der Kirche ist, das Kirchenvolk bei der Stange zu halten, stammt ganz offensichtlich aus dem Fundus der Verschwörungstheorien. Offizielle Version ist, dass die Kirche mauert, um damit in Form eines symbolischen Akts das Heilige Jahr einzuläuten. Klingt plausibel, denn anders als damals bei der Berliner Mauer können die Besucher durchs Hauptportal völlig unbeschwert wieder aus der Klosterkirche herausmarschieren. Eine Wiederholung der Geschichte ist es also nicht - vielmehr eine einzigartige, neue Facette, hat der Papst doch erstmals in der Kirchenhistorie die spätere Öffnung (am 19. Dezember) einer solchen Pforte jenseits des Petersdoms erlaubt. Niemand hat also die Absicht, die Mauer länger als - großzügig gerechnet - 28 Tage stehen zu lassen.

Es gäbe einen Kniff, der Stadt und ihrem Kloster doch noch den Weg in die Geschichtsbücher zu ebnen. Könnte man die Fürstenfelder Mauer nicht einfach 28 Jahre statt 28 Tage stehen lassen? Damit wäre Fürstenfeldbruck auf Augenhöhe mit Berlin.

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