Süddeutsche Zeitung

Glosse:Da geht die Post ab

Die Zusteller fürchten sich vor Outsourcing. Und verlassen deshalb ihre Verteilzentralen, um Outdoor zu protestieren - in Bruck, aber ohne Brucker.

Von Stefan Salger

Man kennt das aus der Industrie: Große Unternehmen beziehen immer mehr Teile von Zulieferern. Fachbegriff: Outsourcing. Ebenso wie das "Just-in-Time-Prinzip" hat uns das die Globalisierung eingebrockt. Nehmen wir den Siebener-BMW von Landrat Thomas Karmasin oder das Dienstfahrrad von Brucks OB Klaus Pleil. Die Fahrzeuge sollen sicherstellen, dass die beiden Politiker immer just in time ihre Auswärtstermine erreichen: Die Marke, die auf der Motorhaube oder am Radlrahmen abzulesen ist, hat aber eher zusammengebaut als selbst hergestellt. Dem Wirtschaftsmagazin brand eins zufolge lag die sogenannte Fertigungstiefe, also der Anteil der Eigenproduktion, bei BMW bereits im Jahr 2005 bei unter 25 Prozent. Die Mehrheit der etwa 20 000 Einzelteile eines Autos kommen von Zulieferern. BMW und Porsche ließen oder lassen sogar komplette Modelle wie den Boxster oder den X3 auswärts produzieren. Ähnliches Bild im Rechtswesen: Da forderte vor ein paar Tagen der Politikwissenschaftler Timo Lange von Lobbycontrol in Berlin: "Das Outsourcing von Gesetzen muss aufhören!" Berater oder Lobbyisten liefern der Politik bereits ganze Gesetzespassagen zum Abnicken.

Und nun auch noch die gelbe Post, die wir so schätzen, weil sie so wunderbar altmodisch mit Fahrrädern Briefe aus Papier zustellte. Im Gegensatz zum E-Mail-Schnickschnack lassen Briefe der Vorfreude Raum. Und versuchen Sie mal, mit Googlemail oder GMX einen kleinen Plausch am Gartenzaun zu halten. Am Mittwoch nun hat auch die Fürstenfeldbrucker Post outgesourct. Nein, die gelben Radler mit den Briefen waren ganz normal unterwegs. Ausgelagert hatten sie: ihren Streik gegen das geplante personelle Outsourcing des Konzerns. Also wurden Postler aus München und Augsburg herangekarrt und zogen protestierend durch die Kreisstadt. Aus Brucker Sicht lag die Fertigungstiefe bei diesem zugelieferten Protestzug bei null Prozent.

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Quelle:
SZ vom 02.04.2015
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