Süddeutsche Zeitung

Mitten in der Region:Vom Lustkiller zur Lovestory

Bravo für Gruftis

Glosse von Michael Morosow

Ich habe mich in der Dusche selbst befriedigt. Bin ich jetzt schwanger?" Mit drängenden Fragen dieser Art können sich Jugendliche seit ewigen Zeiten an einen gewissen Dr. Sommer wenden, dessen Antworten sie dann in einer der nächsten Ausgaben des Jugendmagazins Bravo lesen können. In den Wartezimmern vieler Kinderarztpraxen liegt das 1956 zum ersten Mal erschienene Teenie-Magazin neben Struwwelpeter- und Hotzenplotz-Geschichten aus und bietet Sexualaufklärung in allen Lagen. Wenn die Mädchen junge Frauen geworden sind, wissen sie von selbst, dass Kinder zwar beim Duschen gezeugt werden können, aber nie alleine. Dann sitzen sie aber auch nicht mehr beim Kinderdoktor, sondern beim Erwachsenenarzt mit Erwachsenenlektüre im Wartezimmer. Dazu zählt unbedingt die Apotheken Umschau, ein im Wort & Bild Verlag in Baierbrunn ebenfalls 1956 erstmals erschienener Gesundheitsratgeber.

Man erkennt schnell, dass der Ratgeber die Gruftis und Kompostis anspricht, wie ältere Menschen gerne von den Grünschnäbeln genannt werden. Was beim ersten Petting beachtet werden muss, kommt darin nicht zur Sprache, dafür erfährt die Leserschaft, dass Blutdrucksenker gleichzeitig Lustkiller sein können und gegen steife Glieder Bewegung hilft. Nicht von ungefähr wird das Blättchen von manchen Spöttern "Rentner-Bravo" genannt. Rein inhaltlich war diese Wortschöpfung dabei noch nie gerechtfertigt, haben beide Hefte doch eigentlich nur ihr Alter gemeinsam. Mit 66 Jahren kommt man aber schnell mal auf schräge Gedanken, und so werfen die Blattmacher in Baierbrunn und Hamburg zur Feier der gemeinsam erreichten Schnapszahl am kommenden Samstag tatsächlich eine Rentner Bravo auf den Markt - mit einer Auflage von mehr als zehn Millionen. Ein Bravo für diese Idee.

Die Bravo für Große ist zehn Seiten stark und in dem Apothekenmagazin integriert. Das Cover-Girl ist die heute 90-jährige Ärztin und langjährige Kolumnistin der Apotheken Umschau Marianne Koch in jüngeren Jahren. Es versteht sich, dass auch eine Comic-Lovestory für die Sonderausgabe geschrieben wurde, eine, die das angegriffene Herz älterer Patienten rührt. Kurzbeschreibung: Ein Apotheker vom Nachbartisch hilft einer unterzuckerten Diabetikerin beim verunglückten Date mit Gummibärchen aus - daraus entwickelt sich eine Romanze. Ob diese bis unter die Dusche führt, bleibt offen. Und natürlich dürfen auch Tipps von Dr. Sommer zu Liebesfragen im Alter nicht fehlen, fängt doch mit 66 Jahren das Leben bekanntlich erst an.

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Quelle:
SZ vom 14.01.2022
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