Süddeutsche Zeitung

Mitten in der Region:Rechenakrobatik vor dem Jawort

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Wer jetzt einen Termin im Standesamt hat, muss entweder gut in Mathematik sein oder Logistik studiert haben

Glosse von Stefan Salger

Logisch denkende Menschen haben bessere Aussichten, einen Partner rechtskonform und im Kreise einer ordentlichen Hochzeitsgesellschaft an sich zu binden. Denn die komplizierten Regeln, die sich aus der "Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung" ergeben, mögen sinnvoll sein - sie sind aber vor allem wegen der ständigen Änderungen für Otto Normalbräutigam kaum noch zu durchschauen.

Da findet die Trauung schnell in einer rechtlichen Grauzone statt, über der ein dunkler Schatten der Illegalität liegt. Haben wir alles beachtet oder müssen wir nach dem Kuss ein saftiges Bußgeld berappen? Ein Blick auf die Homepage der Kreisstadt lässt Fragen offen - so wie in anderen Städten auch. Da sind die "derzeit geltenden Regelungen für Hochzeiten" aufgelistet. Am Mittwochvormittag sieht das so aus: Die maximale Anzahl der Personen bei standesamtlichen Trauungen beträgt zwölf Personen (inklusive Brautpaar und Trauzeugen). Zulässig sind normalerweise neun, im Alten Rathaus ist der Raum aber unter Einhaltung der Mindestabstände groß genug für zwölf Personen. Die "zusätzlichen" drei Personen müssen natürlich ebenfalls Mundschutz tragen, darüber hinaus aber entweder vollständig geimpft sein oder als bereits Genesene gelten. Warum hier nicht auch ein negatives Testergebnis die Türen zum Trauungszimmer öffnet, so wie in vielen andern Bereichen, versteht man nicht wirklich.

Brautpaare, die über ein Studium in Logistik oder Mathematik verfügen, sind nun freilich klar im Vorteil, weil sie die Zahl ihrer Gäste von neun auf zwölf maximieren können: Zählen zum engsten Freundes- oder Verwandtenkreis Personen, die bereits geimpft oder genesen sind, so ist es von Vorteil, diese als Gäste zehn bis zwölf zu benennen. Dann können "ganz normale" Gäste ohne solche Pandemie-Zusatzqualifikationen auf die vakanten Plätze der Top Neun vorrücken.

Kein Wunder, dass praktisch in allen Standesämtern des Landkreises Termine abgesagt oder verschoben werden. Denn wer findet durch diesen Paragrafendschungel noch den Weg zum gemeinsamen Glück? Statt dem Brautstrauß wird gerade ziemlich oft das Handtuch geworfen. Es lebe die wilde Ehe!

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Quelle:
SZ vom 27.05.2021
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