SZ-Serie "Ortsgedächtnis":Schatzsuche in der Geschichtskammer

SZ-Serie "Ortsgedächtnis": Mittelstettens Bürgermeister Franz Ostermeier gewährt einen Einblick in das kleine Gemeindearchiv. Dort ist es ziemlich ungeordnet, da es niemanden gibt, der sich darum kümmert.

Mittelstettens Bürgermeister Franz Ostermeier gewährt einen Einblick in das kleine Gemeindearchiv. Dort ist es ziemlich ungeordnet, da es niemanden gibt, der sich darum kümmert.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Das kleine Archiv der Gemeinde Mittelstetten wird seit Jahrzehnten nicht systematisch geführt. Wer in den Ordnern sucht, findet aber durchaus interessante historische Schriftstücke.

Von Christian Hufnagel, Mittelstetten

Der Bürgermeister räumt es unumwunden ein: "Das mit dem Archiv ist ziemlich schwierig bei uns", bekennt Franz Ostermeier. Wie schwierig es ist, beschreibt der Amtschef schonungslos. In den 70er Jahren sei letztmals eingeordnet worden, bekennt er. Jemanden, der sich darum kümmere, wenigstens ehrenamtlich, den gebe es nicht. Mit einer kleinen Ausnahme: Stefan Pfannes, der Kreisarchivpfleger für den westlichen Landkreis, ist eigentlich damit beauftragt. Doch der hauptberufliche Geschäftsleiter der Gemeinde Egenhofen hat dafür in den vergangenen beiden Corona-Jahren keine (Frei-)Zeit gefunden: "Aber ich stehe beim Bürgermeister natürlich im Wort, dass wir mit dem Archiv ein Stück weiterkommen." Zugleich bräuchte es natürlich "mehr Personaleinsatz" und eine "dauerhafte Betreuung", regt er an, was wiederum beim Mittelstettener Rathauschef nicht auf Widerspruch stößt.

Wer in die Geschichte der kleinen Gemeinde im ländlichen Westen des Landkreises blickt, könnte darauf hoffen, das eine oder andere Zeugnis davon irgendwo aufbewahrt zu finden: Mittelstetten wurde zum ersten Mal im Jahre 788 urkundlich erwähnt. Herzog Tassilo III. schenkte den kleinen Ort samt seiner Kirche dem Kloster Benediktbeuern. Im späten 13. Jahrhundert wurden die Güter dem neu gegründeten Kloster Fürstenfeld zugeschlagen. Anfang des 16. Jahrhunderts war der Ort eine wichtige Raststation für Reisende von München nach Augsburg. 1818 erfolgte die Gemeindebildung. In Gebietsreformen kam 1972 Baierberg, 1978 Tegernbach dazu.

Und auch auf archäologischem Gebiet könnte man auf interessante Dokumentationen oder Fundstücke hoffen. Schließlich gibt es auf dem Gemeindegebiet etwa Grabhügel aus vorgeschichtlicher Zeit, Spuren von Siedlungen aus der römischen Kaiserzeit wie des Mittelalters. Und auch Baudenkmäler verkörpern Geschichte: angefangen von Sakralbauten, die bis ins 12./13. Jahrhundert zurückgehen, über Kleinbauernanwesen aus dem 19. Jahrhundert bis hin zu einem Taubenkobel, der um 1900 errichtet wurde. Nun findet natürlich weder ein gewaltiger Kirchturm noch ein uraltes Satteldach Platz in einem Archiv, aber Bauskizzen, historische Fotografien oder andere Relikte aus oder über diese Epochen könnten das schon.

SZ-Serie "Ortsgedächtnis": In den Plastikordnern befinden sich Protokolle der Gemeinderatssitzungen aus den vergangenen Jahrzehnten.

In den Plastikordnern befinden sich Protokolle der Gemeinderatssitzungen aus den vergangenen Jahrzehnten.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Wer mit solch einer Erwartung das Archiv der rund 1700 Einwohner zählenden Gemeinde besucht, wird enttäuscht. Den Raum, den der Bürgermeister aufsperrt, als Besenkammer zu beschreiben, wäre vielleicht ein wenig übertrieben, aber mehr als ein Bett und ein Tisch würden vermutlich nicht hineinpassen. Und das, was der Besucher sieht, spiegelt die Worte des Bürgermeisters wider: Regale an der Wand, mit Reihen von farbigen Plastikordnern auf der einen, von kleinen beigen Kartonagen auf der anderen Seite, am Fußboden ein paar Umzugskartons.

Das Ganze macht einen ebenso geordneten wie ungeordneten Eindruck. Zum einen sieht es so aus, dass die Beschlüsse und Protokolle der Sitzungen des Gemeinderats "in Ordnerform", so der Rathauschef, hier landen. Zum anderen, dass eine ordnungsgemäße Archivierung nur als Ahnung wahrgenommen werden kann: "Es ist seit Jahrzehnten nichts passiert", sagt Pfannes, der sich erinnert, dass ein systematisierte Dokumentation, die eben noch halbwegs erkennbar ist, auf das Ergebnis einer ABM-Maßnahme vor rund 40 Jahren zurückgeht.

Zudem sind Bayerns Kommunen wenigstens seit 1989 dazu verpflichtet, eigene Archive zu führen, damit auf Dauer die Verfügbarkeit des wichtigsten kommunalen Schriftgutes gewährleistet ist. Die Archivalien sollen damit nicht nur im Bestand dauerhaft gesichert werden. Ebenso wichtig ist es, die Nutzung und Auswertung zu ermöglichen.

SZ-Serie "Ortsgedächtnis": Eine der ältesten Archivalien ist ein Register aus dem Jahr 1852.

Eine der ältesten Archivalien ist ein Register aus dem Jahr 1852.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Derweil hat der kleine Raum im Rathaus von Mittelstetten laut dem Kreisarchivpfleger durchaus "Besonderes" zu bieten: "Belege und Rechnungen sind weit bis ins 19. Jahrhundert vorhanden." Man muss sie offensichtlich nur suchen. Und so zieht der Bürgermeister aus einer Schachtel eher zufällig ein Amtsbuch aus dem Jahre 1852 hervor, das Dinge wie die Grenzen und Liegenschaften der Vorläufergemeinden Baierberg und Tegernbach aufschlüsselt.

Ein anderes Konvolut offenbart eine Bekanntmachung aus dem Jahr 1937, mit der jeder Eigentümer oder Pächter zur Bekämpfung von Mäusen und Ratten verpflichtet wird. Und eine systematisierte Auflistung aus einer vor langer Zeit erfolgten Archivarbeit verrät eine Menge anderer interessanter Dokumente: von "Urwahllisten" aus dem Jahr 1860, über die Volkszählung von 1918 und die "Fliegerschäden" aus dem Jahr 1945 bis hin zum Stichwort "Entnazifizierung" (1947) und zur "Auflösung der Gemeinde Baierberg" (1973).

SZ-Serie "Ortsgedächtnis": Ein wenig mehr Ordnung täte dem Mittelstettener Gemeindearchiv gut.

Ein wenig mehr Ordnung täte dem Mittelstettener Gemeindearchiv gut.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

So kann man sich durchaus vorstellen, dass das Archiv in Mittelstetten nicht nur einen andauernden Dornröschenschlaf hält und vor sich hin verstaubt, sondern zuweilen gewissermaßen aufgeweckt wird und eben durchaus interessante historische Schätze preisgibt. Ein paar Anfragen erhalte er im Jahr, dass jemand im Gemeindearchiv was suchen wolle, erzählt Ostermeier. Doch ebenso gut kann man sich angesichts des Erscheinungsbildes auch den Zusatz des Bürgermeisters vorstellen: "Mal wird was gefunden, mal nicht."

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