Mischgebiete:Laute Nachbarschaft

Mit einer Gesetzesänderung will die Bundesregierung ermöglichen, dass in der Nähe von Gewerbebetrieben mehr Wohnraum entstehen kann. Doch das geht nur, wenn der Lärmschutz eingeschränkt wird

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Seit den Sechzigerjahren gibt das Baugesetzbuch die Trennung von Wohnen und Arbeiten vor. Gewohnt wird in Wohngebieten, die lange bevorzugt in einer grünen Umgebung zu liegen hatten, wie es für den Landkreis Fürstenfeldbruck mit einer hohen Lebens- und Wohnqualität typisch ist. Gearbeitet wird dagegen in Gewerbegebieten, die für viele Landkreisbewohner nicht im eigenen Wohnort liegen mussten und in denen das Wohnen in der Regel bis auf Hausmeister- und Betriebsleiterwohnungen auch nicht zugelassen ist. Zudem gibt es noch Mischgebiete, die sowohl dem Wohnen als auch der Ansiedlung von Gewerbebetrieben dienen. Gewerbe ist in solchen Mischgebieten jedoch nur eingeschränkt zulässig. Also nur dann, wenn, es das Wohnen "nicht wesentlich" stört. Damit Ballungsräume wie der Landkreis in Zukunft den starken Zuzug bewältigen können und neue Möglichkeiten für den Bau von Wohnungen erhalten, soll dieses festgefügte System nun aufgebrochen werden.

Noch in diesem Jahr will die Bundesregierung das Baugesetzbuch ändern. Ziel ist es, Städten und Gemeinden mit dem neuen Quartiertypus "Urbanes Gebiet" eine planungsrechtliche Handhabe zu geben, um künftig Wohnen und Arbeiten besser vereinbaren zu können. Dieser Typus orientiert sich an alten Vierteln in städtischen Bereichen mit einer bunten Mischung aus Gewerbe, Gastronomie, Kultur und Wohnen, die inzwischen wieder sehr beliebt und begehrt sind, die aber nach geltendem Baurecht nicht mehr genehmigt werden können. Typisch für solche Viertel waren Handwerksbetriebe in Hinterhöfen, die sehr störend sein können. Dem Vorbild entsprechend soll in den Urbanen Gebieten neben höheren Lärmimmissionswerten künftig auch eine höhere und vor allem dichtere Bebauung zulässig sein als in den herkömmlichen Mischgebieten.

Michael Schanderl, Bürgermeister von Emmering und Kreisvorsitzender des Gemeindetags, spricht von einem Schritt in die richtige Richtung. Er begrüßt, dass das Planungsrecht in Zukunft mehr Gestaltungsmöglichkeiten bietet und flexibler zu handhaben ist, auch wenn noch vieles ungeklärt ist. Unabhängig von der Einzelfallbewertung spricht Schanderl von einer zusätzlichen Möglichkeit, kurzfristig Wohnraum zu schaffen. Genau das ist eine Intention der Gesetzesnovelle von Bundesbauministerin Barbara Hendricks.

Kreisbaudirektorin Reinlinde Leitz glaubt jedoch nicht, dass es die neue Kategorie Urbane Gebiete ermöglichen wird, bestehende Gewerbegebiete im Landkreis generell für den Wohnungsbau zu öffnen. Den Bedarf bestreitet sie nicht. Der mit der Baurechtsnovelle eingeschlagene Weg geht laut Leitz aber eher in Richtung eines Mischgebiets, in dem die Bewohner nur einer erheblich höheren Lärmbelastung ausgesetzt seien als bisher. Mehr Lärm verbindet Leitz mit einer Entwertung des Grundstücks und mit einer möglicherweise steigenden Zahl von Rechtsstreitigkeiten von Nachbarn, die gegen Gewerbebetriebe klagen. Sie verweist darauf, dass es schon jetzt in Mischgebieten immer wieder zu solchen Problemen kommt, weil sich Anwohner gegen Belastungen wehren, die von den Gewerbebetrieben ausgehen. "Das wird bei Urbanen Gebieten nicht einfacher werden", prognostiziert die Kreisbaudirektorin des Landratsamts. Obwohl es das Leitbild für den Landkreis vorgibt, die für den Pendlerlandkreis typische Trennung von Arbeiten und Wohnen durch die Ansiedlung von Firmen zu reduzieren, ist Leitz skeptisch. Und sie verweist darauf, dass auch in Urbanen Gebieten die strengeren Immissionsrichtwerte einzuhalten sind, die für Wohngebiete gelten, wenn sie an solche angrenzen.

Wohnen im Gewerbegebiet

Wohnen im Gewerbegebiet: In diesem Haus in der Hasenheide in Fürstenfeldbruck gibt es eine Weinhandlung.

(Foto: Günther Reger)

Das Hauptproblem ist der Lärmschutz. In Urbanen Gebieten soll die Obergrenze tagsüber bei 63 Dezibel liegen, nachts bei 48 Dezibel. In Mischgebieten und in Stadtkernen sind zurzeit bis 60 Dezibel am Tag und 48 Dezibel in der Nacht erlaubt. Der Unterschied von drei Dezibel klingt nach wenig, ist aber laut Leitz enorm. Im Bereich von 60 bis 80 Dezibel bewegt sich ein lautes Gespräch oder ein vorbeifahrendes Auto. 40 bis 60 Dezibel entsprechen der Lautstärke von normalen Gesprächen. In Industriegebieten liegt die Lärmgrenze tagsüber bei 70 Dezibel, in Gewerbegebieten bei 65 Dezibel. Obwohl es in Gewerbegebieten also nur um zwei Dezibel lauter sein darf als in Urbanen Gebieten, genügt offenbar diese kleine Differenz, um das Wohnen in Gewerbegebieten fast ganz zu verhindern.

Eine Funktionsmischung, wie sie das Urbane Bauen bietet, begrüßt hingegen Christian Breu, Geschäftsführer des Regionalen Planungsverbandes. Sein Stellvertreter Marc Wißmann macht eine Einschränkung. Er weist darauf hin, dass die Schwierigkeiten des Nebeneinanders von Wohnen und Arbeiten in Urbanen Gebieten noch nicht wirklich gelöst seien. Die Antwort auf diese Frage sei der Gesetzgeber noch schuldig. Auch für Wißmann ist der Lärmschutz das entscheidende, noch nicht gelöste Kriterium des neuen Quartierstyps. Planerisch seien Urbane Gebiete wünschenswert, weil sie den "Ermessens- und Gestaltungsspielraum der Gemeinden" erweitern.

In gewisser Weise passt der neue Quartierstyp zu den Überlegungen für die künftige Entwicklung des Landkreises, wie sie seit zwei Jahren im Zusammenhang mit der sogenannten Struktur- und Potenzialanalyse diskutiert werden. Auch hier geht es um eine Verdichtung der Wohnviertel in den städtischen Großkommunen, also um den Ersatz von Einfamilien- durch Mehrfamilienhäuser sowie in der Nähe des eigenen Lebensumfelds gelegene Arbeitsplätze, um das Verkehrsaufkommen zu verringern und den Arbeitnehmern lange Fahrten zu ersparen. Auch Menschen, die in den Landkreis ziehen, bevorzugen laut einer Studie der TU München urbanes Wohnen. Ländliche Strukturen sind weniger gesucht.

Die Stadt Olching hat in den vergangenen drei Jahren 270 000 Quadratmeter Gewerbefläche an der Bundesstraße 471 ausgewiesen und verfügt noch über eine fast gleich große Reservefläche zur Ansiedlung von Betrieben. Überlegungen dazu, dort zusätzlich Wohnbau vorzusehen, gibt es laut Olchings Bürgermeister Andreas Magg nicht. "Wohnen im klassischen Gewerbegebiet zu ermöglichen", sei nicht vorgesehen, sagt der Rathauschef. Um zu ergänzen, er wisse auch nicht, wo das passen würde.

Reinlinde Leitz

Kreisbaumeisterin Reinlinde Leitz

(Foto: Günther Reger)

In der Ansiedlung von Firmen, obwohl es für deren Fachkräfte keine bezahlbaren Mietwohnungen gibt, sieht Michael Steinbauer eines der Hauptprobleme des Gewerbes im Landkreis. Mit urbanen Gebieten verbindet der Vorsitzende des Regionalausschusses der Industrie- und Handelskammer (IHK) für den Landkreis Fürstenfeldbruck einen dringend notwendigen Beitrag zur Entspannung des Wohnungsmarktes. Steinbauer ist stellvertretender Personalleiter der Maischer Firma Doka und verweist darauf, dass im Speckgürtel von München Fachkräfte nur noch dann zu halten und neue zu gewinnen seien, wenn bezahlbare Wohnungen gebaut würden. Geschehe das nicht, würden Mitarbeiter abwandern. Dies gelte es unbedingt zu verhindern. Deshalb haben die Mitglieder des IHK-Gremiums sich den Wohnungsbau als neuen Arbeitsschwerpunkt gesetzt. Für Steinbauer zählt nur ein Kriterium: erschwingliche Mieten. Diese Einschätzung deckt sich mit den Ergebnissen einer Unternehmerbefragung der Wirtschaftsförderung des Landkreises. Auch diese kommt zu dem Ergebnis, dass zu teurer Wohnraum "zu einem zentralen Hemmnis bei der Stellenbesetzung" geworden ist.

Von der Bauabteilung der Stadt Fürstenfeldbruck wird die Baurechtsänderung mit großem Interesse verfolgt. Schließlich bietet sich die Konversion des Fliegerhorstes dazu an - hier sollen Wohnungen für etwa 4000 Menschen und eine gleich große Zahl von Arbeitsplätzen entstehen. Auch bestimmte innerstädtische Bereich wären für diesen neuen Quartiertypus geeignet. Erste Vorüberlegungen gibt es, nur besteht auch hier das Problem darin, wie sich gesunde Wohnverhältnisse mit Gewerbebetrieben vereinbaren lassen.

"Das brauchen wir nicht", sagt der Zweite Bürgermeister von Gröbenzell, der Grüne Martin Runge, zur neuen Gebietskategorie. In Gröbenzell ist man zurzeit bestrebt, aus den reinen Wohngebieten, in denen kaum Gewerbe zulässig ist, allgemeine Wohngebiet zu machen, in denen nicht störende Handwerksbetriebe, Gaststätten und Läden zur Deckung des täglichen Bedarfs erlaubt sind. In Gröbenzell gibt es Probleme mit nicht genehmigten Wohnungen im Gewerbegebiet. In diesen Fällen wird zurzeit nach Einzelfalllösungen gesucht. Der Gröbenzeller Bürgermeister Martin Schäfer hält es nur in einem kleinen Umfang für möglich, in Gewerbegebieten Wohnungen zu bauen. Für ihn hat Vorrang, in Wohngebieten die Gemeindegrundstücke zu bebauen.

Laut Kreisbaudirektorin sind Urbane Gebiete nicht nur für Großgemeinden oder den Fliegerhorst interessant. Der Bedarf, Arbeitsstätten mit Wohnungen zu verbinden, ließe sich mit diesem Planungsinstrument auch auf dem Land decken. Beispielsweise dann, wenn aus ehemaligen landwirtschaftlichen Gehöften mehr gemacht werden soll als nur Wohnungen und Büros.

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