Mehr als die Hälfte entschied sich für ein Zusatzjahr:Zeit zum Reifen

Aus dem G 8 könnte bald wieder G 9 werden. Auch ein Schulversuch am Gymnasium Puchheim deutet an, dass neun Schuljahre die beliebtere Variante sind. Eines aber ist auch klar: Die Schulen möchten endlich ein Modell, das Bestand hat

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Wie lange müssen Bayerns Gymnasiasten in Zukunft zur Schule gehen? Eine Antwort darauf gibt es noch nicht, allerdings deutet sich an, dass es wieder ein neunjähriges Gymnasium geben wird. Die Schulleiter aus dem Landkreis wünschen sich nach 15 Jahren Diskussionen um das G 8 zuvorderst "eine klare Entscheidung für ein bestimmtes Gymnasium, die flächendeckend gilt", wie Walter Zellmeier vom Viscardi-Gymnasium sagt. "Die andauernde Diskussion bringt Unruhe rein", weiß auch Georg Baptist vom Gymnasium Puchheim.

"Der Trend geht eindeutig in Richtung G 9", hatte jüngst der CSU-Landtagsabgeordnete Reinhold Bocklet in einer Pressemitteilung wissen lassen. Seine Partei hatte Anfang des Jahrtausends die Schulzeitverkürzung aus dem Hut gezaubert und in Windeseile eingeführt. Nun gibt sie sich offensichtlich Mühe, auf die Ausarbeitung eines neuerlichen Reformwerks mehr Sorgfalt anzuwenden. Dass eine neunjährige Gymnasialzeit alle Beteiligten als die bessere Variante sehen, zeigt derzeit der Schulversuch zur Mittelstufe plus am Gymnasium Puchheim. Um die kritische Phase der Pubertät zu entschleunigen, absolvieren die Schüler die Jahrgangsstufen acht bis zehn nicht in drei, sondern in vier Jahren, eingehängt wird eine Klasse neun plus. Eine deutliche Mehrheit von 67 Prozent der Achtklässler hat sich in diesem Schuljahr dafür entschieden. "Schüler, Eltern und Lehrer sind sehr zufrieden damit", resümiert Schulleiter Baptist: "Das zusätzliche Jahr tut sicher gut."

Turbo-Abitur

Was denn nun? Wird es in Bayern künftig weiterhin ein achtjähriges Gymnasium geben oder kehrt man zu neun Jahren Schulzeit am Gymnasium zurück?

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Die Mittelstufe plus könnte damit Testlauf sein für ein G 9. Wie die beiden Jahrgänge, die sich nun für die Mittelstufe plus entschieden haben, zum Abitur geführt werden, sei gesichert, sagt Baptist, wie es mit der Mittelstufe plus insgesamt weitergeht, aber werde erst zusammen mit der Grundsatzentscheidung geklärt werden. Deshalb mussten die derzeitigen Siebtklässler in Puchheim auch noch keine Entscheidung treffen, ob sie im nächsten Schuljahr die Plus-Variante oder die normale G-8-Mittelstufe wählen.

Als Schulleiter habe er sich mit dem G 8 "arrangiert", sagt Georg Gebhard. Er hatte die Leitung des Carl-Spitzweg-Gymnasium in Germering just in dem Jahr übernommen, als das G 8 eingeführt wurde. Es gehe gar nicht so sehr darum, ob man den Kindern in neun Jahren mehr beibringen könne, meint sein Kollege Walter Zellmeier, sondern darum, dass die Kinder und Jugendlichen "ein bisschen mehr Zeit zum Reifen haben". G-9-Schüler wirkten deutlich reifer, das zeige sich auch bei der Abfassung von Seminararbeiten. Gebhard bestätigt die Beobachtung. Mit Schülern des G 9, die ein bis anderthalb Jahre älter seien, könne man im Deutschunterricht "Effi Briest", "Maria Stuart" oder "Don Carlos" "anders besprechen" als mit jüngeren. Vor allem muttersprachliche Kompetenzen der Schüler seien zuletzt verloren gegangen, hat Gebhard beobachtet. Gerade durch die sozialen Netzwerke werde Sprache verändert. Soziale Netzwerke und Smartphones aber seien ständige Begleiter der Jugendlichen - "Miterzieher", wie er sagt. Deshalb stelle sich mit einem möglichen G 9 und damit verbundenem Verzicht auf Nachmittagsunterricht die Frage, wie die Schüler dann nach der Schule betreut werden, wenn etwa beide Elternteile berufstätig seien. Gebhards Kollege Boris Hackl vom Gymnasium Gröbenzell vermutet deshalb, dass der Bedarf für die offene oder gebundene Ganztagsschule in Zukunft sogar steigen werde: "Darauf stellen wir uns ein." Gebhard ist überzeugt, dass es nicht so sehr auf die Dauer der Schulzeit ankomme, sondern "wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie wir eine aus verschiedenen Gründen heterogene Schülerschaft studierfähig machen und auf das Berufsleben vorbereiten". Auch müsse die Klassenobergrenze von 32 auf 28 Schüler abgesenkt werden. Zellmeier sieht auch die frühe Wahl der zweiten Fremdsprache in der sechsten Klasse kritisch.

G8 im Landkreis – ein Rückblick

Das achtjährige Gymnasium wurde 2004 unter der damaligen Kultusministerin Monika Hohlmeier in Bayern eingeführt. Fast anderthalb Jahrzehnte sind seither vergangen. Ein Blick zurück zeigt, dass Kritik am G8 schon im Vorfeld laut geworden war. So äußerten sich Schulleiter aus dem Landkreis Anfang 2004 skeptisch zu den neuen Plänen. Erich Hage, damals Direktor am Viscardi-Gymnasium Fürstenfeldbruck, sorgte sich, weil er dann "künftig in kürzerer Zeit mehr Wissen in die Köpfe bringen" müsse. Seine Kollegin Barbara Loos vom Max-Born-Gymnasium Germering nannte die Idee eine "Zumutung für die Schüler". Das Kultusministerium forderte die Schulleiter in Bayern schließlich zur Mäßigung und Loyalität auf, die Direktoren aus dem Landkreis ließen sich davon nicht beeindrucken und äußerten weiter Kritik. "Schulleiter lassen sich nicht gängeln", titelte damals die Fürstenfeldbrucker SZ.

Im Januar 2004 demonstrierten fast tausend Schüler, Eltern und Lehrer mit Trillerpfeifen und Trommeln in der Brucker Innenstadt gegen das G 8. "Wir wollen die Bildung unserer Kinder nicht dem Sparfimmel und der Selbstbeweihräucherung einiger Politiker opfern", schimpfte ein damaliger Elternbeiratsvorsitzender. Die schnell erzwungene Umsetzung zeitigte erste Auswirkungen: Acht Wochen vor der geplanten Einführung von G 8 fehlten an den Landkreis-Gymnasien noch immer viele Lehrer für die Kernfächer. Der Elternbeirat des Viscardi-Gymnasiums beklagte sich in einem Brief an die verantwortliche Kultusministerin Monika Hohlmeier über die "Mangelverwaltung" bei der G-8-Einführung.

Weil er allzu scharfe Kritik am G 8 in einem Internet-Chat geäußert hatte, bekam sodann ein im Landkreis unterrichtender Lehrer einen Rüffel vom Kultusministerium und musste schließlich neben einer Reihe von Schulleitern vor dem Hohlmeier-Untersuchungsausschuss des Landtags aussagen. Die Kritik ging derweil weiter. "Der Druck auf die Schüler ist zu groß", klagte Walter Bertl, stellvertretender Vorsitzender des bayerischen Philologenverbandes. Doch die Politik blieb unbeirrbar. Sie will G8. Siegfried Schneider, CSU-Landtagsabgeordneter und später Hohlmeiers Nachfolger als Kultusminister, verteidigte bei einer Veranstaltung der Frauen-Union im Landkreis den Schnellstart so: "Wir mussten das schnell machen, weil 2011 zwei Jahrgänge an die Hochschulen strömen und die bayerischen Schüler keinen Nachteil haben sollten". Ein Volksbegehren zur Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums scheitert 2005 und auch jenes, das die Freien Wähler im Jahr 2014 zur Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9 initiierten.

Zwischenzeitlich wird nachgebessert - mit unterschiedlichem Erfolg: das Flexijahr, ein Rohrkrepierer, Mittelstufe plus mit hoher Nachfrage. Weil das G8 mit immer mehr Nachmittagsunterricht einherging, baute der Landkreis an jedem seiner sieben Gymnasien eine Schulmensa. 2011 verabschiedeten die Schulen einen doppelten Abiturjahrgang mit insgesamt 1400 Absolventen im Landkreis, weil der letzte G-9- und der erste G-8-Jahrgang gleichzeitig Abitur machten. baz

Obwohl das Gymnasium nach wie vor die beliebteste Schulform ist und die Übertrittsquote im Landkreis bei 44 Prozent liegt, ging die Gesamtschülerzahl an den sieben Gymnasien seit 2010/2011 um 1100 Schüler - mehr als zwölf Prozent - auf nunmehr 7549 zurück. Der Landkreis sieht deshalb "Spielraum für anstehende schulorganisatorische Änderungen", heißt es dazu in den Unterlagen zum aktualisierten Schulentwicklungsplan, der den Kreispolitikern im Vorjahr vorgelegt wurde. Der Landkreis rechnet aber auch damit, dass mit möglichen Änderungen am G 8 die Übertrittsquote an die Gymnasien wieder ansteigen könnte, die schon bei über 50 Prozent lag.

Eine zusätzliche 13. Jahrgangsstufe und damit zwischen 100 und 150 Schüler mehr an jeder Schule würden freilich erst in einem Jahrzehnt, wenn die jetzt neu übertretenden Fünftklässler das Gymnasium durchlaufen haben, erstmals in Erscheinung treten. Dass die im Zuge des G 8 erweiterten Räume nicht ausreichen könnten für G 9, könne er sich nicht vorstellen, sagt Landrat Thomas Karmasin (CSU). Wenn die Entscheidung über die künftige Form des Gymnasiums gefallen sei, werde er sich mit den Schulleitern zu einem Gespräch zusammensetzen. Den Weg, den seine Partei in Sachen G 8 eingeschlagen hat, sieht er kritisch: "In dem Moment, wo ich nicht klar sage, was ich will und auf jeden Elternbrief reagiere, kriege ich nie Ruhe rein." Karmasin aber bezweifelt, ob G 9 zu einem Mehr an Bildung führt: "Das ist auch eine Bequemlichkeitsgeschichte. Man möchte es eben etwas gechillter. Das ist der Drang der Zeit."

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