Lesenswert:Sehenden Auges ins Chaos

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"Feuer" von Maria Pourchet, erschienen bei Luchterhand, 24 Euro. (Foto: Nicola Bräunling)

In ihrer Buchkolumne stellt Nicola Bräunling einen Roman mit einem altbekannten Thema vor - das aber erfrischend anders erzählt wird.

Von Nicola Bräunling

Als viellesende Buchhändlerin gibt es Themen, die immer und immer wieder behandelt werden und manchmal fühlt man sich ob der Gleichheit ein wenig müde. Ich mag eigentlich keine Familiengeheimnisse mehr entdecken, die ihren Ursprung in einem verschollenen Brief auf dem Dachboden haben. Auch die Schwestern, die sich entzweit haben und sich nach einem großen Unglück wiederfinden, sind oftmals ein wenig langweilig. Und die historische Hebamme - austauschbar mit Teehändlerin, Konditorin oder sonstiger Unternehmerin - ist auch nicht neu. Immer wieder jedoch gelingt es Autorinnen und Autoren, diese von mir "Allgemeinthemen" genannten Inhalte neu, anders und spannend aufzubereiten. So zum Beispiel Maria Pourchet in ihrem neuen Roman "Feuer". Ich hätte ein großartiges Buch verpasst, wenn ich mich nur nach dem Klappentext gerichtet hätte.

Es ist die uralte Geschichte von Affäre, Seitensprung und Betrug. Sie verheiratet, Uni-Professorin, zwei Kinder. Er erfolgsverwöhnter Pressebeauftragter eines hippen Finanzunternehmens, der gewohnt ist, mit Geld alles kaufen zu können. Sie verfallen einander, gehen viele Risiko ein, verlieren die Realität aus den Augen, können weder mit-, noch ohne einander. Mal trennt sich sie, mal er, aber sie kommen nicht wirklich voneinander los. Hat die Beziehung eine Chance? Eine Zukunft? Kleinere und größere Katastrophen lassen daran zweifeln. Schade eigentlich, dass ich an dieser Stelle nicht weitererzählen darf, es wäre gespoilert. Was dieses Buch zu etwas Besonderem macht, sind die Charaktere. Sie rennt sehenden Auges in riesige Schwierigkeiten, nimmt diese aber bewusst in Kauf. Bei ihm gibt es eine große Kluft zwischen Schein und Sein, die er selber wahrnimmt, aber aus der er nicht herauskommt. Alles in allem ein Buch, das einen zwischen Ablehnung und Mitgefühl schwanken lässt und ich freue mich, dass ich es entdeckt habe. Die Sprache ist gelungen, der Inhalt aufregend aufbereitet. Als studierte Soziologin hat Pourchet einen guten Blick auf Menschen und Beziehungen und zurecht wurde sie für den Prix Goncourt, die höchste französische Literaturauszeichnung, nominiert.

Mein Fazit: Es lohnt sich doch immer wieder, auch Bücher mit altbekannten Themen in die Hand zu nehmen - sie können einen überraschen. Es dürfen also nach wie vor gerne verschollene Hebammen und Schwestern auf Dachböden sein. Ich werde die Perlen finden.

Nicola Bräunling ist Inhaberin der Buchhandlung Bräunling in Puchheim. Regelmäßig stellt sie im Wechsel mit Katrin Schmidt und Helen Hoff von der Buchhandlung Lesezeichen in Germering ihr aktuelles Lieblingsbuch vor.

Der Laden von Nicola Bräunling ist als "Bayerns Buchhandlung des Jahres 2021" ausgezeichnet worden. (Foto: Leonhard Simon)
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