Angelika Heinkelein-Reithmayr ist der Typ Mutter, die ihrem Sohn gerne Geschichten aus der Zeitung ausschneidet. Für den Manager Marc Heinkelein ein Glücksfall, weil er nur so auf diesen einen Nebensatz stoßen konnte, der es ihm später erlauben sollte, vom beschaulichen Olching aus einen millionenschweren Hollywood-Deal einzufädeln.
Als Heinkelein den Text über Yusra Mardini las, hatte er bereits von der Geschichte des syrischen Flüchtlingsmädchens gehört - wie hätte es auch anders sein können, füllte Mardinis spektakuläre Lebensgeschichte Zeitungen und Nachrichtensendungen im ganzen Land. 2015, auf ihrer Flucht von Syrien nach Berlin, geriet das Boot auf dem Mittelmeer in Seenot. Weil sie sofort reagierte und über Stunden hinweg kämpfte, rettete sie mit Hilfe zweier anderer die vielen Insassen vor dem Ertrinken.
Ein Jahr später, Mardini schwamm damals schon seit einiger Zeit bei den Wasserfreunden Spandau 04, trat sie bei den Olympischen Spielen in Rio an und machte mit ihrer Geschichte Schlagzeilen. Alle berichteten über Yusra, die syrische Schwimmerin, die irgendwo in der erbarmungslosen See vor Lesbos zur Heldin geworden war. Während die Presse sich um das Mädchen riss, behielt einer immer ein wachsames Auge auf sie: Sven Spannekrebs, ihr Berliner Schwimmtrainer. Nur dass Spannekrebs schon lange nicht mehr "nur Schwimmtrainer" war, sondern auch Manager, Berater und Pressesprecher. Viel zu tun also für Spannekrebs - so stand es auch in eben jenen Nebensatz, den Heinkelein hunderte Kilometer entfernt, an seinem Küchentisch in Olching las.
Ohne Zweifel war Heinkelein beeindruckt von der Geschichte der jungen Frau. Gehörte sie nicht genau zu jenen Persönlichkeiten, die er in seiner Agentur vertreten wollte? Mit seiner Firma Stagefields kümmert sich der Olchinger um "Sportler und Artisten mit Persönlichkeit". Sein Konzept ist es, maßgeschneidertes Management für eine ausgewählte Anzahl von Klienten anzubieten. "Boutique style" wie es auf der Unternehmenshomepage heißt.
Und da sitzt Heinkelein nun vor diesem Artikel, der von Yusras unglaublicher Geschichte erzählt und von Spannekrebs, der sich um ein professionelles Management für seinen Schützling bemühen will. "Ich mache so etwas normalerweise nicht", sagt Heinkelein. Aber irgendetwas sei dann doch an der Geschichte dran gewesen, das ihn zum Laptop greifen und eine E-Mail an den Spandauer Trainer schreiben ließ.
Und dann? "Ist erst mal ganz lange überhaupt nichts passiert", sagt Heinkelein. Er schob die E-Mail in die hinterste Ecke seines Gedächtnisses, wo sie nach und nach in Vergessenheit geriet. Von Spannekrebs, da war sich Heinkelein sicher, würde er nichts mehr hören. Sicher waren da schon Tausende, die sich um das Management der jungen Syrerin stritten. Und so dachte der Olchinger schon nicht mehr an Yusras Pressesprecher, als dieser sich Monate später doch noch meldete. Ein Treffen war schnell vereinbart, und Heinkelein hörte die Geschichte Mardinis zum ersten Mal persönlich.
Neun Kilometer vor Lesbos auf dem Meer, der Wind tobt, die Wellen peitschen und plötzlich passiert das Unglück: Der Boardmotor eines Schlauchboots, voll besetzt mit 18 Flüchtlingen, fällt aus. Yusra und ihre Schwester Sarah, beide bereits seit frühester Kindheit Schwimmerinnen, springen über Board. Gemeinsam mit anderen versuchen sie, den Rumpf des vollaufenden Boots stabil zu halten, gegen die Wellen anzukämpfen, nicht zu ertrinken. Fast drei Jahre ist das her. Nach stundenlangem Überlebenskampf gelingt es ihnen, den Motor wieder zum Laufen zu bringen und die griechische Insel zu erreichen. Eine Fluchtgeschichte, die auch anders hätte ausgehen könne, eine Geschichte, wie sie die Menschen lieben, weil es sie daran erinnert, dass es sich zu kämpfen lohnt.
Der Sport steht an erster Stelle
Zwischen Heinkelein, Mardini und Spannekrebs passt es. Heinkelein, so soll es Spannekrebs ihm bestätigt haben, war der Einzige, der der syrischen Schwimmerin nicht erklärt hat, wie er sie in den kommenden Jahren vermarkten will. Im Gegenteil, er habe gefragt, was sie wolle. Welche Pläne sie hat und was ihr wichtig ist. "Sie hat gesagt, das Schwimmen ist ihr das Wichtigste", sagt der Manager. Und deswegen steht der Sport an erster Stelle. Noch vor der Presse, vor Veranstaltungen, Galas und Preisverleihungen.
Trotzdem ist seither viel passiert: Yusra wird UNHCR-Goodwill-Ambassador, hält viel beachtete Reden, reist durch die Welt, besucht den Papst und Barack Obama, Yusra wird das internationale Testimonial einer amerikanischen Sportartikelmarke, im vergangenen Mai erscheint ihre Lebensgeschichte als Buch. Und dann das ganz große Ding: Heinkelein verkauft die Filmrechte an Yusras Geschichte an Hollywood. Regisseur Stephen Daldry (The Crown, Der Vorleser, Billy Elliot) wird Mardinis Leben auf die Leinwände internationaler Kinos bringen. Jack Thorne, zuletzt als Co-Autor für Joanne K. Rowlings Theaterstück "Harry Potter and the Cursed Child" in den Schlagzeilen, schreibt das Drehbuch. Wenn alles gut, läuft erscheint der Film Ende 2019.
Für die heute 20-Jährige ist das immer noch oft wie ein verrückter Traum - und manchmal auch ganz schön viel zu verarbeiten. Heinkelein, der mit seinen Klienten engen Kontakt pflegt, weiß, dass Mardini die positiven Aspekte ihrer Karriere genießt. Er weiß aber auch, dass es für die junge Frau nicht immer leicht ist, alles unter einen Hut zu bringen. Das zu organisieren und Unangenehmes von ihr fernzuhalten, sieht Heinkelein als eine seiner wichtigsten Aufgaben. Immerhin soll sich die Syrerin voll auf ihren Sport konzentrieren können. "Beim Schwimmen geht es um Sekunden", erklärt Heinkelein. Wenn Yusra ihr Pensum von 30 Stunden Schwimmtraining pro Woche, das zusätzliche Krafttraining und die Physiotherapie nicht aufrechterhält, bedeutet das, dass sie hinter ihren Konkurrenten zurückfällt. Heinkelein versteht das. Wahrscheinlich besser als viele andere es könnten.
Der 45-Jährige war selbst Kunstturner beim SC Gröbenzell, später im Bundesliga-Team des FC Bayern. Neben dem Kunstturnen frönte er seiner zweiten Leidenschaft, dem Tanz. Gemeinsam mit einigen Freunden gründete er die "Dynamic Street Dancers", die erste Breakdance Combo im Münchner Raum und ergatterte mit der Gruppe sogar ein Musical-Engagement. Später gründete Heinkelein eine Tanzschule, rief ein neues Showformat namens "Sport meets Art" ins Leben. Die Liebe für Sport und Kunst zieht sich durch das Leben des Wahl-Olchingers. Auch später als Anwalt vertritt er in seiner eigenen Kanzlei viele Künstler und Sportler. Bis er sich 2017 dazu entscheidet, seine Zulassung als Anwalt zurückzugeben und sich ausschließlich dem Management seiner Klienten zu widmen.
Obwohl das Leben des Olchingers in vielen Belangen ganz anders war als das Yusras, weiß er genau, was es bedeutet, im Leistungssport erfolgreich sein zu wollen. Er weiß, was es bedeutet, wenn jemand da ist, der einem den Rücken frei hält, so dass der Fokus auf dem Sport liegen kann. Das bedeutet viel Arbeit, häufiges Reisen, Telefonate und Verhandlungen am laufenden Band und auch einfach nur mal als Ansprechpartner für kleine und große Sorgen der Klienten da zu sein.
"Ich habe im Sport und im Entertainment alles erreicht, was ich erreichen wollte", sagt Heinkelein. Jetzt will er derjenige sein, der andere auf dem Weg dahin unterstützt.
