Süddeutsche Zeitung

Mammendorf:Ornamente im Weizen

Rechtzeitig zu Beginn der Kornkreis-Saison haben bislang Unbekannte auf einem Feld etwa 30 000 Quadratmeter Getreide niedergetrampelt. Das "Phänomen" könnte nun Tausende Menschen anlocken, so wie bereits vor einem Jahr in Biburg.

Von Erich C. Setzwein, Mammendorf

Für den Bussard, der in der gewitterschwülen Luft hoch droben über dem Weizenfeld von Josef Huber seine Kreise zieht, wird es in den kommenden Tagen und Wochen nichts zu holen geben. Er wird Dutzende, Hunderte, vielleicht Tausende Menschen sehen, die sich drunten am Boden in einem Kreis bewegen. Auch Josef Huber, der am Montagabend unfreiwillig zum Besitzer eines sogenannten Kornkreises geworden ist, wird wenig Ruhe haben. Das ahnt der 47 Jahre alte Chef einer Baufirma und Nebenerwerbslandwirt aus Mammendorf bereits, als er am Dienstagmorgen am Rand seines Weizenfelds steht, das eigentlich in den kommenden Tagen zum Dreschen bereit wäre. Doch irgendjemand hat Huber einen Strich durch die Rechnung gemacht und einen Kornkreis entstehen lassen, der mit seinen 180 Metern Durchmesser drei Mal so groß ist wie der im vergangenen Jahr in einem Weizenfeld bei Biburg.

Für die Mammendorfer, die sich an diesem Dienstagmorgen zu ihrem Bekannten gesellen und Huber so gut es geht aufmuntern, ist es "ein Phänomen", das am Montagabend von einem Mitarbeiter des gemeindlichen Bauhofs in dem Feld an der Straße nach Eitelsried entdeckt worden sei. Für Menschen wie Johanna Schuhbauer aus Allershausen ist es "ein Geschenk", das dort entstanden ist. Und für die Polizei ist es "eine astreine Sachbeschädigung", wie der stellvertretende Leiter der Polizeiinspektion Fürstenfeldbruck, Michael Fischer, nach persönlicher Besichtigung des niedergetrampelten Korns erklärt.

Für die Polizei dürften es schwierige Ermittlungen werden. "Wir haben keinen Ansatz", sagt Fischer, der mit einer Kollegin zum Tatort gekommen ist und sich fragt, "wo will man anfangen zu ermitteln?" So sei es auch in anderen Kornkreisfällen gewesen, gibt Fischer zu bedenken.

Fest steht nur das, was zu sehen ist. Auf einer Fläche von etwa 30 000 Quadratmetern sind unterschiedlich gerundete Flächen ins reife Korn getreten worden. Der Verlust, der Josef Huber am Ende des arbeitsreichen Jahres droht, liegt bei geschätzten 3000 bis 4000 Euro. Den Schaden will er sich ersetzen lassen, und zwar von jenen, die es zu Kornkreisen hinzieht, die sie besichtigen, sich dort aufhalten und Energie aufnehmen wollen. Darum geht es auch Johanna Schuhbauer, die Huber spontan einen Zehneuroschein in die Hand drückt. Als Eintrittsgeld sozusagen.

Johanna Schuhbauer ist 54 Jahre alt , Yogalehrerin und seit 2012 mit Kornkreisen vertraut. Sie kennt die englischen, wo jetzt gerade auch Saison ist, und hat in den vergangenen Jahren die bayerischen Phänomene in Oberschleißheim, Raisting und Biburg gesehen. Der in Mammendorf nun ist für sie ein ganz besonderer. "Er ist dreidimensional", sagt sie, "das Muster ist total spannend."

Tatsächlich erschließen sich die Formen des "Kreises" erst durch Luftaufnahmen. Davon gibt es seit vergangenem Samstag reichlich im Netz auf den einschlägigen Seiten der internationalen Cropcircle Community. Denn schon am 23. Juli ist das Mammendorfer Exemplar durch eine Aufnahme aus einer Kameradrohne bekannt gemacht worden. Josef Huber setzt den mutmaßlichen Entstehungszeitpunkt aber erst für Sonntagabend an, weil ein Landwirtskollege am Nachmittag noch ein Feld besprüht habe, und dem sei nichts Außergewöhnliches aufgefallen.

Auffällig sind sie aber schon, die Muster in Hubers Feld, und Kornkreiskenner im Netz wollen auch schon anhand der Linienführung und Formensprache sechs wichtige Energien herausgefunden haben. So ist bei cropcircleconnector.com zu lesen, dass jede der Energien für besondere Eigenschaften stehen. Die Mammendorfer Energien kämen demnach unter anderem vom "Weißen Zauberer" mit Zeitlosigkeit, Aufnahmefähigkeit und Verzauberung. Die Energie der "Roten Schlange" sei vorhanden und stehe für Kraft, Stabilität und Instinkt. Auch die "Gelbe Saat" sei zu entdecken - mit den Eigenschaften Ziele, Bewusstsein und Blüte, sowie die "Blaue Hand" (Wissen, Leistung, Heilung), "Roter Mond" (Reinigung, Fluss und universelles Wasser). "Gelber Mensch" schließlich symbolisiert Wille, Einfluss und Weisheit.

Voriges Jahr am Münchner Berg im Allinger Ortsteil Biburg wurde auch lange und viel interpretiert, was denn das achteckige Gebilde bedeuten solle. Dort hatten Unbekannte am 16. Juli, ebenfalls kurz vor der Ernte, einen Kornkreis geschaffen. Während die einen von Unterweltgöttern sprachen, sahen andere darin einen "endlosen Knoten". Das Oktagramm sehe aus wie der "drehende Propeller eines Schiffs". Aber welches Schiff sei gemeint, fragten sich die Cropcircle-Experten, und vor allem: Wann kommt es auf der Erde an?

Regeln und Etikette

Kornkreis-Pilger wie Johanna Schuhbauer aus Allershausen wissen, wie sie sich zu verhalten haben, wenn mal wieder irgendwo eines ihrer Lieblingsobjekte entdeckt wurde. "Wer zu einem Feld kommt, fragt immer erst nach dem Bauern, dem es gehört." Und als ob ihre Worte gleich bewiesen werden müssten, kommt eine junge Frau mit erwartungsvoll strahlenden Augen auf die Gruppe am Feldrand in Mammendorf zu und fragt zuerst nach dem Besitzer. Ein wahrer Kornkreisgänger werfe auch niemals Müll weg. Denn den energiereichen Platz solle man möglichst sauber hinterlassen. Vom Eingang an seien nur die vorhandenen Traktorspuren zu begehen, damit nicht noch mehr Getreide niedergetrampelt wird.

Und so ist zu beobachten, wie Menschen, die ins Innere des Kreises vorgedrungen sind, sich ihrer Schuhe entledigt haben, als hätten sie den frisch gesaugten Perserteppich im Wohnzimmer vor sich. Feuer zu machen, sei selbstverständlich auch verboten, sagt Schuhbauer. Und spenden sollte man natürlich auch. Die Polizei hält laut Inspektionsvize Michael Fischer den Kornkreis zwar für "unnötig und unangenehm", aber da er nun schon mal da sei, müsse es auch Regeln für die Besucher geben. So dürfen alle nur zu Fuß über die Feldwege zu dem gekennzeichneten Eingang. Wer mit dem Auto anreist, soll den Parkplatz am Freizeitgelände in Mammendorf nutzen. Wegen der womöglich langsamer an dem Feld vorbeifahrenden Autos sei die Unfallgefahr besonders hoch. Das gelte vor allem, wenn sich auf der Straße auch Fußgänger befinden. Höchstgeschwindigkeit sei deshalb dort 30 Km/h. Fischer kündigte am Dienstag an, deswegen häufiger eine Streife vorbeizuschicken. ecs

Vor einem Jahr hatte die Polizei Germering den Fall bekannt gemacht und damit nicht nur ein großes Medieninteresse ausgelöst, sondern das Feld bei Biburg zu einer Pilgerstätte von Kornkreissuchern und sonstigen Neugierigen gemacht. Die Eigentümer, die einen solchen Rummel noch nicht erlebt hatten und die ganze Aufregung auch niemand anderem wünschen, stellten angesichts des erwartbaren Schadens eine Spendenkasse auf, die wohl auch gut gefüllt wurde. Denn das gehört in Kornkreis-Kreisen zum guten Ton: dass man immer erst den Bauern um das Betretungsrecht fragt und ihm dafür auch Eintrittsgeld bezahlt. So konnte die Biburger Landwirtsfamilie nach der Ernte den Verlust ausgleichen und den Rest an eine gemeinnützige Organisation spenden.

Wie in Alling, so fällt auch in Mammendorf bei den umgeknickten Halmen auf, dass sie nicht einfach irgendwie zu Boden gedrückt wurden, sonder fächerartig und in eine bestimmte Richtung zeigen. So ergibt sich aus der Luft bei einem bestimmten Sonnenstand ein besonderes Bild. In Mammendorf könnte es sich bei näherem Betrachten um vier in einer Spitze zusammenkommenden Kegelgebilden handeln.

Die energetischen Eigenschaften gilt es am Dienstagmorgen am Rand des Weizenfelds nahe dem Mammendorfer See für Polizei, Gemeinde und Grundbesitzer unter Beweis zu stellen. Nachdem Fischer mit Huber abstimmt, dass die bereits bestehenden Hinweisschilder stehen bleiben sollten und eine Spendenkasse aufgestellt werden kann, bespricht sich Bürgermeister Josef Heckl mit Fischer wegen der Verkehrssicherheit. Weil beide in den kommenden Tagen und Wochen von unzähligen Schaulustigen und Besuchern ausgehen, soll das Unfallrisiko auf der Gemeindestraße von Mammendorf nach Eitelsried so weit wie möglich reduziert werden. Tempo 30 schlägt Fischer vor, dazu eine extra Beschilderung des ohnehin außerorts geltenden Parkverbots. "Parkplätze stehen auf dem Freizeitgelände zur Verfügung, der Fußweg beträgt nur fünf Minuten", sagt Fischer.

Heckl telefoniert derweil mit seinem Bauhof, um die Absperrungen für die Feldwege und die zusätzlichen Schilder für die Tempobegrenzung zu organisieren. Und noch während die ersten Maßnahmen am Dienstag anlaufen, damit das Mammendorfer Phänomen auch nicht zu noch weiteren Schäden führt, rollt bereits ein Traktor heran. Am Frontlader baumelt die Spendenbox.

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Quelle:
SZ vom 27.07.2016
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