Maisacher Gewaltopfer:Leben mit der Gefahr

Tatort Deisenhofen

Im Dachgeschoss dieses Hauses lebten das Opfer und ihr einschlägig vorbestrafter Lebensgefährte, der die Bluttat seinem Rechtsanwalt gestand, zusammen.

(Foto: Günther Reger)

Schon im Dezember informierte die Polizei das Opfer des Maisacher Gewaltdelikts darüber, dass es mit einem wegen Totschlags Verurteilten zusammenlebt. Von ihm trennen wollte sich die Frau aber nicht

Von Gerhard Eisenkolb, Maisach

Die bei einer Gewalttat im Maischer Ortsteil Deisenhofen ums Leben gekommene Frau wusste schon seit Längerem, dass sie gefährdet war und mit einem einschlägig vorbestraften Mann in häuslicher Gemeinschaft zusammenlebte. Dies hat am Freitag ein Sprecher der Staatsanwaltschaft München I auf Anfrage der SZ erklärt. Entsprechende Informationen hatte die Polizei der Frau bereits Ende des vergangenen Jahres gegeben. Obwohl der 67-Jährigen also seit nicht ganz sechs Monaten bekannt war, dass ihr zwei Jahre jüngerer Lebenspartner S. bis zum August 2015 insgesamt zwanzig Jahre hinter Gittern verbracht hatte - davon die letzte Zeit in Sicherheitsverwahrung - wollte sie sich offenbar nicht von ihrem Gefährten trennen.

Inzwischen befindet sich der mutmaßliche Täter in Untersuchungshaft. Der Vorbestrafte hatte am Montag bei seinem Rechtsanwalt erklärt, die Maisacherin getötet zu haben. Seither wird gegen ihn wegen eines Tötungsdelikts ermittelt. Zu den genaueren Umständen der Gewalttat wollte sich die Staatsanwaltschaft München I auch am Freitag noch nicht äußern. Der Grund: Der mutmaßliche Täter soll sich noch nicht weiter zum Sachverhalt geäußert haben.

Eine "Gefährdetenansprache" gegenüber der Lebensgefährtin, wie sie in dem Deisenhofener Fall durch Beamte der Kriminalpolizei erfolgte, gilt als präventionspolizeiliche Maßnahme. Einer solchen Ansprache geht ein Abwägungsprozess zwischen zwei divergierenden Interessen voran. Es wird abgewogen zwischen dem Risiko, das die Partnerin eines solchen Mannes eingeht, und den Persönlichkeitsrechten sowie dem Interesse des Vorbestraften auf informationelle Selbstbestimmung. Hat ein Täter nämlich seine Strafe abgebüßt und ist er wieder auf freiem Fuß, hat er ein Recht darauf, nicht bei jeder Gelegenheit mit seiner Vorgeschichte konfrontiert zu werden. Im Vordergrund steht nun die Wiedereingliederung in die Gesellschaft.

Die gewaltsam ums Leben gekommene Frau war sich wohl nicht nur ihrer Gefährdung bewusst, sie hatte in den letzten Wochen vor ihren Tod auch Angst. Sonst hätte sie nicht einer älteren Nachbarin anvertraut, dass sie befürchte, sie könnte umgebracht werden. Wobei für die Nachbarin ausgeschlossen war, dass die Gefahr von deren Partner ausgehen könnte. Die Getötete teilte sich mit dem Lebensgefährten ihr Einzelzimmer in der Dachwohnung eines Hauses in dem Weiler Deisenhofen.

Der 65-Jährige war 1995 wegen Körperverletzung mit Todesfolge und im Jahr 2000 wegen Totschlags verurteilt worden. 1994 schlug der in den Neunzigerjahren in München als "Zuhälter-Schorsch" bekannte S. in einer Bar einen Schriftsteller nieder. Das Opfer erlitt einen Schädelbasisbruch, an dem es starb. 1999 erwürgte er seine damalige Lebensgefährtin. Wegen des Totschlags an seiner Freundin wurde er zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt.

Weder die Staatsanwaltschaft noch eine Sprecherin des Oberlandesgerichts München äußerten sich am Freitag dazu, weshalb die Sicherheitsverwahrung im August 2015 aufgehoben worden war. Dieser Entscheidung eines Gerichts liegt ein psychiatrisches Gutachten zugrunde, nach dem S. nicht mehr als gefährlich eingestuft wurde. Allerdings wurde der Mann auf Bewährung entlassen und sollte die nächsten fünf Jahre unter Aufsicht stehen.

Der Vorfall schockierte nicht nur Nachbarn, sondern die ebenfalls in Deisenhofen lebende Vermieterin. Obwohl, wie die Frau sagte, die Chance gering sei, sich wieder jemanden ins Haus zu holen, der ein Tötungsdelikt gesteht, will sie sich ihre zukünftigen Mieter besser aussuchen und dazu vorher genauer recherchieren. So erwägt sie, vor dem Abschluss eines Mietvertrags ein Führungszeugnis anzufordern. Niemand sei verpflichtet, diesem Ansinnen nachzukommen, meinte die Deisenhofenerin am Freitag. Aber sie müsse auch an niemanden vermieten, der das ablehne. Dazu, ob alle Zimmer einzeln vermietet würden, wollte sich die Frau mit Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte ihrer Mieter nicht äußern. Dafür bestätigte sie, dass ihrem achtjährigen Sohn ein Kriseninterventionsteam hilft, die Ereignisse zu verarbeiten.

Nachdem sich der mutmaßliche Täter am Montag freiwillig bei seinem Münchner Anwalt Adam Ahmed gestellt hatte, fanden Polizeibeamte in der gewaltsam geöffnete Wohnung in Deisenhofen die Leiche der Frau. Zu diesem Zeitpunkt war die 67-Jährige schon seit mehreren Tagen tot.

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