Maisach:Zwiespältige Pflegereform

Vortrag SeniVita

Johannes Bischof (links) bei seinem Vortrag über die Pflegereform im Seniorenheim Senivita.

(Foto: Günther Reger)

Referent Johannes Bischof warnt im Seniorenheim vor den negativen Folgen der Gesetzesänderung

Von Julia Bergmann, Maisach

Fünf Pflegegrade statt drei Pflegestufen, neue Bewertungskriterien, ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff und neue Zuschussbeträge - geändert hat sich durch das zu Jahresbeginn in Kraft getretene Pflegestärkungsgesetz vieles. Dass es zu diesem Thema also im Senivita Haus Sankt Magdalena in Maisach eine ganze Menge Fragen gibt, ist nicht überraschend. Referent Johannes Bischof von der Gemeinnützigen Gesellschaft für soziale Dienste Nürnberg erläutert auf Einladung der Maisacher Grünen die Neuerungen und nimmt Stellung: "Mittlerweile haben wir erste Erkenntnisse, da kriegt man Bauchschmerzen", sagt er beim Blick auf die Erfahrungen der zurückliegenden sechs Monate.

Dabei hatten die Ziele der Bundesregierung so vielversprechend geklungen. Endlich sollten auch Demenzkranke und Menschen mit psychischen Erkrankungen den gleichen Zugang zu Pflegeleistungen bekommen wie körperlich eingeschränkte Menschen. "Viele erhalten mehr Leistungen, niemand wird schlechter gestellt", hieß es. "Aber was passiert mit denen, die dieses Jahr neu pflegebedürftig sind? Sind auch die gleichgestellt?", fragt Bischof in die Runde. Wer bereits im vergangenen Jahr eine Pflegestufe beantragt habe, will der Referent wissen. Eine Frau aus der Gruppe der neun Zuhörer meldet sich. Und fast hat man den Eindruck, als wolle Bischof die Frau beglückwünschen. Denn "diejenigen, die im vergangenen Jahr einen Antrag gestellt haben, sind in der Regel in einen höheren Grad übergeleitet worden" und dürften damit, besser gestellt sein als Menschen, die neu in eine der jetzt geltenden fünf Pflegegrade eingeordnet werden. "Heute ist es schwieriger, in einen der höheren Pflegegrade zu kommen." Das hänge etwa mit den neuen Bewertungskriterien und dem Punktesystem zusammen. Vor allem bedeutet es meist: weniger Geld für die Betroffenen als sie früher bekommen hätten.

Und noch ein Manko sieht Bischof in der Gesetzesänderung. Grundsätzlich sei der Ansatz der Bundesregierung sinnvoll, die ambulante Pflege gegenüber der stationären zu stärken, entspreche das doch dem Wunsch vieler Menschen, so lange wie möglich Zu Hause zu leben. Das schlägt sich freilich auch in den Zuzahlungen nieder, wie Bischof verdeutlicht. Eine Aufschlüsselung zeigt, dass eine Person mit Pflegegrad zwei für die vollstationäre Pflege 770 Euro erhält. "Früher waren es mit Pflegestufe eins 1200 Euro", sagt Bischof. "Wenn ich in einer ländlichen Region wohne, meine Kinder zum Studieren ins Ausland gegangen und meine Nachbarn weggezogen sind: Wer kümmert sich dann?"

An dieser Stelle schaltet sich der Maisacher Bürgermeister Hans Seidl ein. Dass die Leute grundsätzlich in ihrem eigenen Zuhause bleiben wollen, diese Erfahrung habe er auch gemacht. "Aber es ist bei uns schon oft schwer", sagt er. Immerhin liegt Maisach aber im Speckgürtel Münchens. "Und wir kommen dem nicht hinterher, was der demografische Wandel uns für Aufgaben stellt. Das größte Problem ist, dass wir die Pflegekräfte nicht herbringen", sagt er. Damit in Zukunft angemessen umzugehen, werde eine Herausforderung.

Auch andere Besucher melden sich zu Wort. Eine Dame möchte wissen, ob man auch als Angehöriger einen Antrag stellen kann. "Den Antrag kann nur der Betroffene selbst stellen, außer es gibt eine Vollmacht", erklärt Bischof. Allerdings haben Angehörige die Möglichkeit, sich beraten zu lassen. Auch darüber, wie man damit umgeht, wenn sich ein Pflegebedürftiger Mensch weigert, einen Antrag einzureichen. Wo man sich beraten lassen könne, möchte eine andere Besucherin wissen. Als erste Anlaufstelle empfiehlt der Referent das zuständige Rathaus oder Landratsamt. Dort werde man gegebenenfalls auch weitervermittelt. "Auch die Pflegeversicherung hat eine Beratungspflicht", sagt Bischof. "Allerdings nur in Fragen, die auch die Pflegeversicherung betreffen."

Hartmut Hömbach, der den Vortrag mit organisiert hat, möchte von Bischof wissen, ob er Tipps für die Vorbereitung auf die Einstufung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) hat. Bischof verweist auf deren Website. Dort sei genau aufgeführt, welche Unterlagen bereitgehalten werden müssen. Und er empfiehlt, Angehörige dazu aufzufordern, Dinge, die der Mitarbeiter abfragt, auch vorzuführen. Etwa, wenn beantwortet werden soll, ob der Pflegebedürftige körperlich dazu in der Lage ist, sich Wasser in ein Glas einzuschenken und daraus zu trinken. "Wenn jemand Demenz hat, wird er vielleicht einfach mit Ja antworten, obwohl er es nicht kann", erklärt Bischof. "Aber in der Regel seien die Mitarbeiter des MDK in solchen Dingen sehr feinfühlig und gut ausgebildet. Und am Ende gibt Bischof noch einen Tipp: "Machen sie sich nicht pflegebedürftiger als sie sind." Denn das wäre Betrug.

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