Maisach:Wie aus Feinden Freunde werden

Maisach: Joana Osman liest im Pfarrheim aus ihrem Buch. Musikalisch unterstützt wird sie von Günter Wagenpfeil mit Gitarren und E-Bass.

Joana Osman liest im Pfarrheim aus ihrem Buch. Musikalisch unterstützt wird sie von Günter Wagenpfeil mit Gitarren und E-Bass.

(Foto: Günther Reger)

Joana Osman liest in Gernlinden aus ihrem wunderbaren Roman "Am Boden des Himmels". Vor dem Hintergrund eigener Erfahrung zeigt sie dabei Wege auf, wie sich Israelis und Palästinenser durch persönliche Treffen besser verstehen lernen

Von Sonja Pawlowa, Maisach

Das Literaturcafé Gernlinden hat am Neujahrswochenende eine Lesung veranstaltet, die auf vielen Ebenen nachhaltig auf das Publikum wirken dürfte. Joana Osman bewegt die Anwesenden nämlich nicht nur durch das Thema ihres Romans "Am Boden des Himmels", sondern auch mit einer menschlichen Sprache. Es gelingt auf eine wundervolle Weise, Sichtweisen der gegnerischen Bewohner des jüdischen und palästinensischen Teils Israels zu beleuchten und zu verstehen.

Die warme Holzdecke und das angenehme Licht im Pfarrzentrum Bruder Konrad in Gernlinden schaffen eine geradezu wonnige Atmosphäre, so dass sich die etwa 35 Besucher trotz Abständen und FFP-2-Masken bei der 2-G-plus-Veranstaltung irgendwie vereint und wohl fühlen. Alfons Strähhuber, der zusammen mit seiner Frau Annemarie regelmäßig Lesungen organisiert, stellt der Autorin Joana Osman einleitend die Frage: "Wie kommen Sie zu Ihrem Namen?". Diese antwortet lachend: "Er wurde mir gegeben." Unaufgeregt und freundschaftlich klingen die beiden, obwohl sie sich vorher gar nicht kannten. So eine ungewohnt spontane Nähe tut gut. Besonders weil Joana Osman ihre persönliche Geschichte erzählt. Joana Osmans deutsche Mutter lernte ihren aus Palästina stammenden Vater an der U-Bahnstation Münchner Freiheit kennen. Der studierte damals, Anfang der Achtzigerjahre, dank eines Stipendiums in Deutschland. Zu diesem Zeitpunkt lebten die Mitglieder seiner Familie als Flüchtlinge im Libanon, wo der Krieg mit Israel tobte. Mit lockeren Worten beschreibt Joana die Liebe auf den ersten Blick zwischen ihren Eltern. Der Bilderbuchtraum hielt jedoch nicht lange an. Der Vater starb früh und hinterließ die Mutter allein mit der kleinen Joana. Der Kontakt zur palästinensischen Familie blieb, der Nahostkonflikt auch. Die große, erwachsene Joana Osman betrachtete notgedrungen all das als Außenstehende, obwohl ihre Vorfahren direkt betroffen waren. Sie forschte nach und sprach mit Verwandten, die nach ihrer Flucht 1945 überall in der Türkei, den USA und dem Libanon verstreut lebten, und reiste schließlich nach Israel. Dort hätte man Joana Osman als Feind wahrnehmen können. Halb Deutsche, halb israelische Palästinenserin - das Schlimmste aus zwei Welten. Aber statt dessen entstand ein wunderbares Projekt mit dem Namen "The Peace Factory". Vor fast zehn Jahren stieß Joana Osman auf den israelischen Grafikdesigner Ronny Edry auf dessen Facebook-Seite "Israel loves Iran". Der Gedanke, die feindlichen Parteien miteinander bekannt zu machen, war ein Erfolg. Storytellerin Joana Osman witzelt, dass sogar Partneranbahnungswünsche dabei waren. Tinder gab es damals noch nicht. Doch der Impuls, Frieden zu stiften, indem Menschen sich auf einer persönlichen Ebene kennenlernen und nicht als gesichtsloses Feindesvolk betrachten, schlug ein wie eine Bombe der hoffnungsvollen Art. Heute treffen sich Gruppen in Israel, Palästina und online. Gesprochen wird über Traumata und Vorurteile. Jede Person hat ihre eigene Geschichte zu erzählen. Die Erlebnisse ähneln sich sogar. Flucht, Vertreibung, viele geliebte Tote - das wird in den Familien von Generation zu Generation weitergetragen. Ein Wunder tut not, damit sie wieder aufeinander zugehen. Rehumanisieren nennt es Joana Osman.

Dieses Wunder nimmt in ihrem Roman "Am Boden des Himmels" Gestalt an - in Form eines Engels - eine urban legend, die jeder aus seiner Perspektive deutet. Im Buch wird die desillusionierte Radiojournalistin Layla, die sonst nur von Schönheitswettbewerben berichtet, in die israelische Stadt Tiberias geschickt, wo israelische Soldaten patrouillieren und junge Palästinenser mit Messern angreifen. Doch wie durch ein Wunder umarmen sich da zwei Beteiligte. "Wie zwei Schwule lagen sie sich in den Armen", bezeugt es ein kleiner Junge. Grund dafür ist ein Engel, der in einer fremden Sprache singt. Wie sich herausstellt, kann er kein Englisch und singt "Hey Jude" nach, so wie er es hört. Misheard heißt das Genre hierzulande. Die Missdeutung des anderen, da trifft sich der Roman mit der Problematik, aus der schließlich die von Joana Osman mitbegründete Friedensbewegung "The Peace Factory" entstand.

Die bewegende und klischeelose Sprache des Romans überrascht mit ungewöhnlichen Bezügen, macht die Figuren greifbarer als den Sitznachbarn im Raum und versetzt in gespannte Neugierde. Das Zusammenbringen unterschiedlicher Klangfarben führt Günter Wagenpfeil fort, der die Lesung musikalisch begleitet. Mit seinem neuen Loop-Gerät erwärmt er die Gemüter als One-Man-Band zwischen Led Zeppelin und Cosmo Sheldrake. Mit E-Gitarre, E-Bass und akustischer Gitarre reagiert er auf die Passagen, die Joana Osman liest. Sein Schlussstück heißt passenderweise "For Friends". Das passt genau, um Spenden für Zeltstädte in Syrien zu erbeten und auf die nächste Lesung des Literaturcafés hinzuweisen, die Ende Januar die Donau abwärts führt.

Etwas länger darf die Vorfreude des Publikums auf Joana Osmans neuen Roman dauern. Er wird 2023 erscheinen und erzählt die Geschichte ihrer palästinensischen Familie und der aus Israel. Ob dann Günther Wagenpfeil mit Bob-Marley-Loops kommentiert, steht noch in den Sternen.

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