Süddeutsche Zeitung

Maisach:Mit dem Fahrrad auf Räuber Kneißls Spuren

Eine neue Route verbindet nicht nur die sieben Kommunen der West-Allianz. Auf der 110 Kilometer langen Strecke mit vier Etappen wird zugleich die Lebensgeschichte dieser schillernden Gestalt spannend und historisch fundiert erzählt

Von Ariane Lindenbach

Von den Frauen verehrt, von der Polizei gejagt: Schon zu Lebzeiten vereint Mathias Kneißl viele Ansichten in sich. Daran hat sich auch mehr als hundert Jahre nach seinem Tod durch die Guillotine nichts geändert: Für die einen ist der Kneißl Hias ein krimineller Einbrecher und Mörder, für die anderen eine Art bayerischer Robin Hood, der die Sympathien der Bevölkerung im Maisacher und Dachauer Hinterland auf seiner Seite hatte. Eine kritische und wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung dieser schillernden Gestalt gibt es nun als unterhaltsame Begleitung zu einer neuen Radroute, dem Räuber-Kneißl-Radweg. Auf Infotafeln an verschiedenen Standorten, flankiert von Sehenswürdigkeiten und historischen Zeugnissen wie etwa Kneißls ehemaligem Schulhaus, aber auch als Hörpfad oder App, kann zwischen Gröbenzell und Pfaffenhofen an der Glonn seine Lebensgeschichte beim Fahrradausflug erkundet werden.

Der familientaugliche Rundkurs ist ein Projekt der West-Allianz, jenes Zusammenschlusses der sieben Kommunen Maisach, Gröbenzell, Karlsfeld, Bergkirchen, Sulzemoos, Odelzhausen und Pfaffenhofen an der Glonn entlang der A8. Der Arbeitskreis Naherholung und Tourismus unter Leitung des Pfaffenhofener Bürgermeisters Helmut Zech hat ihn ausgearbeitet, die historische Aufarbeitung von Kneißls Leben haben maßgeblich die Kulturwissenschaftlerin Annegret Braun (Sulzemoos) und die Fürstenfeldbrucker Historikerin Elisabeth Lang zu verantworten. Das Ergebnis sind vier kleinere Touren, zwischen 20 und 30 Kilometer lang, oder alternativ die große Runde mit mehr als 110 Kilometern durch alle sieben Kommunen der West-Allianz.

Wie umstritten Mathias Kneißl bis heute ist, hat Zech durch die Reaktionen in der Bevölkerung auf den neuen Radweg erfahren. "Wir haben am Anfang auch einige Anfeindungen gehabt", erzählt er bei der coronabedingt sehr dezent ausgefallenen Eröffnung des Räuber-Kneißl-Radwegs. "Was fällt uns denn ein, den zu verherrlichen", konkretisiert er die Kritik. Um diese sogleich zu widerlegen. Der Pfaffenhofener Bürgermeister steht im Räuber-Kneißl-Keller in der Brauerei Maisach und verweist auf die fundierte historische Aufarbeitung. Das kleine Museum existiert schon etliche Jahre, doch anlässlich der Eröffnung des namensgleichen Radweges hat Pächter Michael Schweinsberg es um einige Exponate ergänzt und Elisabeth Lang hat Mathias Kneißls Leben geschichtlich eingeordnet und kompakt aufgeschrieben. Annegret Braun hat unter anderem einen Nachbau von Mathias Kneißls Klassenzimmer in einem Museumszelt zwei Häuser neben seinem echten, alten Schulgebäude in Sulzemoos konzipiert.

Nach Zechs Einschätzung ist Kneißls Geschichte hochaktuell, handelt sie doch von Vorurteilen und nie da gewesenen Chancen. Sein Fazit lautet: "Wenn du damals im Zuchthaus warst, dann warst du gezeichnet fürs Leben." Annegret Braun sieht es ähnlich: "Eigentlich hat Mathias Kneißl viel Pech gehabt, dass er Räuber wird." Die Kulturwissenschaftlerin berichtet von Anhaltspunkten, dass er durchaus intelligent und begabt war. Doch schon bei den Lehrern habe er keine Chance gehabt.

Dazu gibt es im Museumszelt sowie auf der Homepage www.räuber-kneissl-radweg.de Zitate wie das Folgende: "Versteht jetzt schon die Harmonika besser zu handhaben als das Lesebuch und spielt zur Belustigung der Großen auf." Der Lehrer empfiehlt eine Einweisung in eine Besserungsanstalt und hofft: "Vielleicht gelänge es noch, ihn zu retten". Die Voreingenommenheit gegenüber der Familie Kneißl ist vier Jahre vor Mathias Kneißls Geburt begründet: Der Bruder seiner Mutter Therese, Johann Pascolini, ist 1871 bei einem Einbruchsversuch ums Leben gekommen und hatte die Familie in Verruf gebracht. Dazu kommen weitere ungünstige Umstände, etwa die "ziemlich kriminelle Mutter" - sie hatte offenbar Gefallen an der Wilderei und darüber auch einen schlechten Einfluss auf ihren Mann - sowie die Tatsache, dass die fünf Kneißl-Geschwister schon früh ohne ihre Eltern zurecht kommen müssen; Mathias, der Älteste, ist damals 17. Zu der Zeit lebt die Familie Kneißl in der Schachenmühle bei Sulzemoos. Ein jüngerer Bruder wird kriminell und polizeilich gesucht. Bei einem Schusswechsel ist auch Mathias zugegen und gerät in Verdacht, auf einen Polizisten geschossen zu haben. Obwohl ihn sein Bruder vor Gericht entlastet, wird Mathias Kneißl zu fünf Jahren und neun Monaten Zuchthaus verurteilt.

Es folgen eine Ausbildung zum Schreiner und nach der Haft eine Anstellung im nach damaligen Verhältnissen weit entfernten Nussdorf am Inn (Kreis Rosenheim). Doch selbst dorthin kommt ein Gendarme aus dem Dachauer Land. Kneißl verliert seine Arbeit und rutscht immer weitere ins kriminelle Milieu ab. Die Polizei sucht ihn mit immer mehr Leuten, doch dem Gesuchten gelingt immer wieder die Flucht. Und die Bevölkerung hegt eindeutig Sympathien für den verfolgten Schreinergesellen. Das belegen beispielsweise Postkarten, die auf Zeichnungen die erfolglose Suche der Polizei nach Mathias Kneißl nicht ohne eine gewisse Häme darstellen und die auf der Homepage und einer Infotafel zu finden sind.

Oder eine Anekdote, die Annegret Braun beim Anblick eines Odelfasses - nicht des Originals, wohlgemerkt - im Kneißl-Keller einfällt: Wieder wird der Schreinergeselle von der Polizei gesucht, mit 60 Mann sind sie auf einem Hof im Dachauer Land angerückt. Doch der Bauer ist auf Kneißls Seite. Er versteckt ihn in dem auf einem Karren gelagerten Fass. Und während er laut Braun noch eine Kelle draufgießt, gewährt er den Polizisten, seinen Hof zu durchsuchen. Nur er müsse weiterarbeiten, sagt er und fährt mit dem Fass davon. 1901 schließlich verlässt den jungen Mann das Glück. Er wird von 150 Polizisten verhaftet und zum Tod durch die Guillotine verurteilt Den Ausspruch, "D'Woch fangt scho guat an", den Kneißl angeblich vor seiner Hinrichtung getan haben soll, hat es nach Brauns Einschätzung nicht gegeben. "Das ist ein falsches Zitat, weil er nicht am Montag hingerichtet worden ist", erklärt die Wissenschaftlerin.

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SZ vom 02.09.2020
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