Maisach:Langer Weg zur Inklusion

Margit Quell, Ehrenbürgerin von Mammendorf

"Inklusion ist für alle da." Margit Quell ist Vorreiterin für eine auch mental barrierefreie Gesellschaft.

(Foto: oh)

Paralympics-Gewinnerin Margit Quell spricht in Maisach

Von Ariane Lindenbach, Maisach

"Grundsätzlich ist Deutschland in vielen Dingen hintendran, das ist meine persönliche Meinung." Wenn Margit Quell an Inklusion denkt, fällt ihr Urteil über die Situation in der Bundesrepublik nicht sehr positiv aus. Und dabei denkt die 68-jährige Rollstuhlfahrerin gar nicht unbedingt an Menschen mit Handicap. Für Quell geht Inklusion jeden etwas an und sie betrifft alle Lebensbereiche. Nach Mankos in Deutschland gefragt, antwortet sie spontan: "Alles was mit dem sozialen Bereich zu tun hat, wird nicht so wertgeschätzt wie in anderen Ländern." Diese Erfahrung hat die SPD-Kreisrätin und Sportreferentin aus Mammendorf bei ihren vielen, oft sportlich bedingten Reisen gemacht, sei es bei den Paralympics 1980 in den Niederlanden oder im vergangenen Jahr in Rio. "Eine Krankenschwester steht bei uns gleich neben der Putzfrau, in anderen Ländern ist sie gleichwertig mit einem Arzt." Nach Quells Einschätzung ist das "ein gesellschaftliches Problem". Darüber sowie über die Definition und Bedeutung von Inklusion wird die vielfach ausgezeichnete Mammendorferin am Samstag beim Neujahrsempfang der SPD in Maisach sprechen. Und über die Entwicklung in Deutschland in den letzten 57 Jahren, dem Zeitraum, den sie wegen Kinderlähmung im Rollstuhl sitzt. Seit 1960 habe sich aber durchaus einiges verbessert, findet Quell.

"Ich werde einen Bogen schlagen von meiner Kindheit, als ich ausgegrenzt worden bin bis zur aktuellen Situation." Damals, 1960, als sie an Kinderlähmung erkrankte und mit zwölf Jahren einen Rollstuhl brauchte, wurde sie nicht gerade unterstützt: Die Schule sah keine Notwendigkeit, ihre Klasse in das Erdgeschoss zu verlegen, um ihr den Schulbesuch zu erleichtern. Aus diesem Grund musste Quells Vater ein Jahr lang jeden Morgen und Mittag seine Arbeit unterbrechen und seine Tochter samt Rollstuhl in den ersten Stock der Volksschule Mammendorf zu befördern und sie wieder hinuntertragen. "So etwas ist zum Glück heute undenkbar", verdeutlicht Quell, was sich seither verändert hat.

Dank der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, die 2009 unterzeichnet wurde, hat nun zum Beispiel jedes Kind das Recht, eine Regelschule zu besuchen, sofern es geistig in der Lage ist, dem Unterricht zu folgen. Auch wenn das in der Realität bisweilen weniger einfach sein mag, als es die Konvention impliziert: Es ist schon ein großer Schritt in Richtung Gleicheberechtigung aller Menschen, wenn so eine Regelung nicht nur auf dem Papier steht, sondern auch vor einem Gericht eingeklagt werden kann.

Dennoch fallen der Mitbegründerin der Abteilung Rollstuhlsport beim USC München noch genügend Beispiele ein, bei denen nicht an Menschen mit Rollstuhl, Rollator oder auch Kinderwagen gedacht wird. Das 2008 neu eröffnete Graf-Rasso-Gymnasium etwa: Weder die hohe Bühne in der Aula noch das nur über Treppen erreichbare Amphitheater sind wirklich barrierefrei. "Das ist noch nicht in den Köpfen drin", Architekten und andere Planer denken nach Quells Erfahrung selten an Menschen mit Handicap. Dennoch will sie in ihrer Rede auch darauf eingehen, wie viel sich in den letzten Jahren verbessert hat. Auch ihr eigenes Wirken mag dazu beigetragen haben, etwa beim Rollstuhltanz, den sie als "sehr integrative Sportart" hoch schätzt, da er Menschen mit und ohne Rollstuhl zusammenbringt.

Margit Quell, mehrfache Paralympics-Goldmedaillengewinnerin und Kreisrätin spricht beim Neujahrsempfang der SPD Maisach am Samstag, 4. Februar, 14 Uhr im katholischen Pfarrheim.

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