Süddeutsche Zeitung

Maisach:Ernüchternde Quote

In den 23 Landkreiskommunen gibt es nur zwei Bürgermeisterinnen, in Stadt- und Gemeinderäten ist nur jedes vierte Mitglied eine Frau: Grünen-Politikerinnen wollen das ändern. In Gernlinden berichten sie von positiven Erfahrungen

Von Heike A. Batzer, Gernlinden

Zwei kleine Kärtchen werden verteilt, eines grün, eines rot. "Wer glaubt, dass wir mehr Frauen in der Politik brauchen?", fragt sodann die Bundestagsabgeordnete Beate Walter-Rosenheimer in die Runde. Was wie eine rhetorische Frage klingt, bei der die Antwort klar ist, bestätigt sich gleich. Die Anwesenden heben die grünen Kärtchen in die Luft. Zustimmung. "Und findet ihr, dass Angela Merkel was für das Vorankommen der Frauen in der Politik gebracht hat?", fragt Walter-Rosenheimer weiter. Rote und grüne Kärtchen sind zu sehen, die Meinungen sind geteilt.

Die Abstimmungsspielerei bei der Frauenkonferenz der Grünen im Gernlindener Bürgerhaus lenkt auf ein ernstes Thema: Frauen sind unterrepräsentiert in der Politik - auch im Landkreis Fürstenfeldbruck. In den 23 Städten und Gemeinden gibt es nur zwei Bürgermeisterinnen, der Frauenanteil in Stadt- und Gemeinderäten liegt im Durchschnitt bei etwas mehr als einem Viertel, im Kreistag haben die Fraktionen von Freien Wählern, FDP, ÖDP und Unabhängigen Bürgervereinigungen keine einzige Frau in ihren Reihen. Auch im Gefolge von Merkels jahrelanger Kanzlerschaft tat sich wenig. "Nur weil eine Frau im Kanzleramt sitzt, bringt das die Frauen in der Politik nicht unbedingt weiter. In ihrer Kanzlerschaft ist zu wenig passiert", sagt Sigi Hagl, die Landesvorsitzende der Grünen, die jetzt Oberbürgermeisterkandidatin in Landshut ist.

Etwa 30 vorwiegend junge Frauen sind ins Gernlindener Bürgerhaus gekommen, um mit bereits in Ämtern vertretenen Frauen der Grünen zu debattieren. Der Nachmittag unter dem Motto "Frau. Macht. Politik" soll in erster Linie Frauen Mut machen, sich bei den am 15. März anstehenden Kommunalwahlen um ein politisches Mandat zu bewerben. Gerade in der Kommunalpolitik werde viel entschieden, was die Frauen betreffe, sagen die Grünen. "Wir brauchen deshalb Parité in den Parlamenten", fordert Sigi Hagl kämpferisch. Die Germeringerin Beate Walter-Rosenheimer, seit 2012 Bundestagsabgeordnete der Grünen, hat Erfahrung gesammelt damit, dass Forderungen allein noch keinen Erfolg bringen. Sie erinnert daran, dass "wir Grünen nicht regieren. Aber wenn wir die Macht haben, versuchen wir, das durchzusetzen".

Ziel ist, die Wahllisten der Parteien nach dem Reißverschlussverfahren abwechselnd mit Frauen und Männern zu besetzen. Bei den Grünen ist das längst üblich. Die Kommunalwahl 2014 aber hat gezeigt, dass auch das bisweilen nicht hilft, weil die Wählerinnen und Wähler die vorgegebene Rangfolge noch durcheinanderwerfen können. Dennoch müsse man "Frauen fördern, ansprechen, reinholen", empfiehlt Hagl für die anstehenden Wahlen. Die junge Bezirksrätin Gina Merkl aus Mittelstetten bestätigt das: "Wenn einen die Leute bestärken, fühlt man sich gut aufgehoben." Frauen seien allerdings vor Ort oft nicht ausreichend vernetzt: "Das muss man aufbauen."

Zuvor geht es lange darum, welche Hindernisse sich für Frauen auf dem Weg in die Politik auftun. Frauen seien oft "sehr gerne dabei, aber bitte nicht ganz vorne", ist Sigi Hagls Erfahrung. Frauen würden sich vieles nicht zutrauen, das bedeute aber nicht, dass sie das alles nicht können. Deswegen sei es wichtig, Frauen an der Spitze auch zu zeigen: "Wir Grünen tun das mit unserer Doppelspitze." Hagl und Walter-Rosenheimer erzählen dann davon, wie es war, sich als alleinerziehende Mütter politisch zu engagieren. "Sich frei zu schaufeln" sei schon problematisch gewesen, erinnert sich Hagl, "aber ich hatte gute Unterstützer". Auch die fünffache Mutter Beate Walter-Rosenheimer erzählt davon, viel Unterstützung erfahren zu haben. Und bei Martina Neubauer, der grünen Landratskandidatin aus Starnberg, half ein kompletter Rollenwechsel. Der Mann kümmerte sich um den Sohn und "hat mir den Rücken frei gehalten".

Man müsse sich als Frau schon "auf die Hinterfüße stellen", wenn man es anders möchte, betont die Erdinger Kommunalpolitikerin Helga Stiglmeier. Die Frauen berichten dann davon, wie sie bisweilen angefeindet wurden, weil sie nicht dem gängigen Mutterideal entsprachen ("Warum gibst du dein Kind in die Krippe? Dein Mann verdient doch ganz gut."). Das Äußere von Frauen würde noch immer kritischer beurteilt als das von Männern, und auch der von manchen Männern angeschlagene Ton sei bisweilen "grenzüberschreitend", wie Neubauer erzählt. "Wir befinden uns wieder in einem Rollback", fasst Beate Walter-Rosenheimer zusammen. Frauen würden wieder eingeschüchtert und klein gemacht.

Sigi Hagl rät dennoch dazu, Mut zu zeigen. Frauen sollten sich auch nicht ausschließlich auf soziale Bereiche einlassen: "Wir können auch Haushaltsausschuss und Aufsichtsrat!" Frauen sollten mit ihrem Blick auf die Wirklichkeit versuchen, die Debatten zu verändern - und in die Politik gehen. "Politik macht total viel Spaß, ihr jungen Frauen!", ruft Beate Walter-Rosenheimer den Anwesenden zu. "Und man darf auch einsteigen, wenn man nicht mehr 20 ist."

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SZ vom 08.10.2019
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