Literatur:Die Stimme der Kurden ist verstummt

Haydar Isik

In seinen Büchern hat Haydar Işık, hier bei einer Lesung in der Brucker Aumühle 2014, die Geschichte der Kurden erzählt. Aus seinem Heimatland, der Türkei, wurde er dafür 1982 ausgebürgert.

(Foto: Günther Reger)

Haydar Işık war einer der großen Intellektuellen seines Volkes. Jahrzehnte lang hat er von Maisach aus über dessen tragisches Schicksal geschrieben. Nun ist er im Alter von 84 Jahren verstorben

Von Florian J. Haamann

Kämpfen, das konnte der Schriftsteller Haydar Işık wie nur wenige. Nicht mit Gewalt und Unterdrückung, wie es die, gegen die er sein Leben lang angeschrieben hat, tun. Sondern mit Worten. Worten, die so mächtig waren, dass die, die die Macht an sich gerissen hatten, Işık, dem Kurden, dafür seine Heimat nahmen. 1982 hat ihn Kenan Evren, der zwei Jahre zuvor durch einen Militärputsch zum türkischen Staatspräsidenten geworden war, ausbürgern lassen. Işık war 1974 nach Maisach gekommen, um in Deutschland Gastarbeiterkinder zu unterrichten. Vor allem aber hatte er sich damals schon zu einem der wichtigsten Intellektuellen und einer unüberhörbaren Stimme der Kurden entwickelt. Eine Rolle, die er bis zuletzt ausgefüllt hat.

Der Preis, den der 1938 geborene Işık dafür gezahlt hat, war hoch. Fast vier Jahrzehnte lang konnte er seine türkische Heimat nicht besuchen, weil ihn dort ein Prozess erwartete. Erst 2015 ging bei seinem Anwalt eine "Garantiebescheinigung" aus Ankara ein. Er dürfe sich vier Monate frei in der Türkei bewegen, wenn er dafür vor einem Gericht aussage. Işık zweifelt, ob er sich drauf einlassen soll. "Ich bin jetzt 77 Jahre alt. Wenn die mich für fünf bis zehn Jahre ins Gefängnis stecken, sterbe ich dort", hat er damals gegenüber der Süddeutschen Zeitung gesagt. Trotzdem geht er das Risiko ein, reist am 16. März in die Türkei. Alles geht gut, er trifft erstmals seine Enkel, sieht seine Kinder aus erster Ehe nach langer Zeit wieder, besucht sein Heimatdorf, das Grab seiner Eltern, an deren Beerdigung er nicht hatte teilnehmen können.

Dass es die Türkei ernst meint mit seiner Verfolgung, musste er bereits 2007 erleben. Damals ist er eingeladen, in Sydney einen Vortrag zu halten. Am Flughafen wird er von der Polizei in Empfang genommen und erfährt, dass er auf der Fahndungsliste von Interpol steht. Erst nach einem langen Gespräch wird er freigelassen. Und auch in Deutschland gerät er einmal ins Visier der Sicherheitsbehörden. Wegen angeblicher Nähe zu der als Terrororganisation eingestuften kurdischen Arbeiterpartei sitzt er zwölf Tage in Haft. Weil ihm nichts Strafbares nachgewiesen werden kann, wird er freigelassen.

Işıks großes Thema war das Massaker der türkischen Armee an den Kurden in der Provinz Dersim in den Jahren 1937/38 bei dem Zehntausende Menschen umgekommen sein sollen. Kurz bevor er dort geboren wurde. Monatelang, hat er einmal erzählt, habe sich seine Mutter mit ihm in den Bergen versteckt. Die Geschichten mit denen er aufwächst, sind Erzählungen von Gewalt, Mord, Angst. "Das hat sich wie ein Stein auf meine Brust gelegt, von da an habe ich überlegt, was ich tun kann", erinnerte sich Işık 2017. Im Schreiben findet er seinen Weg, etwas zu tun. Und er schreibt viel: Über das Massaker und über die Kurden, ihre Traditionen, ihre Geschichte, ihren Kampf für die Freiheit. Seine Bücher hat er auf türkisch verfasst. Kurdisch, die Sprache seiner Kindheit, war ihm in der Schule ausgetrieben worden.

Immer wieder hat er sich auch für einen kurdischen Staat eingesetzt und die Politik der Türkei gegenüber den Kurden verurteilt, in Reden und Gastbeiträgen in Zeitungen. Aber Haydar Işık wollte auch ganz konkret helfen. Und so begann er 2017 damit, Geld für eine Mädchenschule in Kobanê zu sammeln, in jener für die Brutalität des syrischen Bürgerkriegs so symbolischen Stadt.

Zu dieser Zeit hatte für Işık bereits ein neuer Kampf begonnen. Kurz nach seiner Rückkehr aus der Türkei bekam er eine Krebsdiagnose. 2017, bei einem Gespräch zu seinem 80. Geburtstag im Wintergarten seines Maisacher Hauses, hat er erzählt, dass er die Krankheit vorerst besiegt habe. Nun gehe es darum, sich zu erholen. Ganz so wie er es früher nach jeder Attacke geschafft hat.

Wie nun bekannt wurde, ist Haydar Işık bereits am vergangenen Freitag im Alter von 84 Jahren an den Folgen der langen Erkrankung verstorben. Rehma Xwedê lê bê ("Möge Gott ihm gnädig sein").

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