Lesung:Zur Ehre mutiger Dichter

Lesung: Gröbenzells Kulturreferent Klaus Coy liest in der Bücherei aus Werken von Dichtern, die in der Nazidiktatur verboten waren.

Gröbenzells Kulturreferent Klaus Coy liest in der Bücherei aus Werken von Dichtern, die in der Nazidiktatur verboten waren.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Gröbenzeller Lesung erinnert an die Bücherverbrennungen im Nationalsozialismus

Von Valentina Finger, Gröbenzell

Am 10. Mai 1933, wenige Monate nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, wurden deutschlandweit Bücher verbrannt, die nicht in die Ideologie der Nazis passten. Die Liste der verfemten Schriftsteller ist lang, darunter sind so prominente Namen wie Erich Kästner oder Bertolt Brecht, deren Werke längst wieder zum literarischen Kanon gehören. Seit 2005 ruft die bundesweite Aktion "Bücher aus dem Feuer" dazu auf, am Jahrestag der Bücherverbrennungen öffentlich aus damals verbotenen Texten zu lesen, um ein Zeichen für Meinungsfreiheit, gegen Fremdenhass und das Vergessen zu setzen. Wie jedes Jahr, wenngleich mit ein paar Tagen Verspätung, hat sich vor kurzem auch die Gemeindebücherei Gröbenzell an der Aktion beteiligt.

Gelesen wurde aus Büchern von Autoren, die der Allgemeinheit vermutlich weniger bekannt sind als Kästner oder Brecht. Auf dem Programm der Lesung standen neben zwei dramatischen Texten, der Tragödie "Die letzten Tage der Menschheit" von Karl Kraus und dem Identitätsdrama "Der blaue Boll" von Ernst Barlach, auch zwei erzählerische und ein philosophischer: Lisa Tetzners Kinderbuchreihe "Erlebnisse und Abenteuer der Kinder aus Nr. 67", Gabriele Tergits Roman "Käsebier erobert den Kurfürstendamm" und die chassidische Lehrschrift "Der Weg des Menschen" des Religionsphilosophen Martin Buber.

In den vergangenen zehn Jahren sei das Zusammenkommen in der Bücherei zu diesem Anlass stets eine Art geschlossener Expertenkreis gewesen, sagt der Gröbenzeller Kulturreferent Klaus Coy (FDP). Es sei schön zu sehen, dass sich das 2019 geändert zu haben scheint. In der Tat füllen etwa 30 Besucher jeden Alters in diesem Jahr alle drei Reihen, um dabei zuzuhören, wie Klaus Coy, die Buchhändlerin Astrid Trost sowie das Autoren-Ehepaar Werner und Marion Küstenmacher aus Büchern vorlesen, deren Besitz unter Hitler strafbar war.

Coy hat sich für das bis heute nicht in Gänze aufgeführte erste Drama von Karl Kraus entschieden, das zwischen 1915 und 1922 als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg entstand. Die von Coy ausgewählten Ausschnitte vermitteln das gewisse Chaos, das den aus 220 lose verknüpften Szenen zusammengesetzten Bühnentext prägt. Die Meinung eines Bettlers zur Situation im Weltkriegs-Wien findet darin ebenso Gehör wie die eines Intellektuellen. Als 1933 zahlreiche Bücher auf den Scheiterhaufen landeten, waren diejenigen von Kraus nicht darunter. Doch die Werke des Satirikers und scharfen Kritikers, der Ende des 19. Jahrhunderts aus der jüdischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten war, schienen dem NS-Regime brisant genug, um sie nichtsdestotrotz auf die Liste des sogenannten "schädlichen und unerwünschten Schrifttums" zu setzen.

Der Theologe und Cartoon-Autor Werner Küstenmacher liest aus dem ersten Band der zwischen 1933 und 1949 erschienenen Kinderbuchreihe von Lisa Tetzner, die einigen womöglich eher als Herausgeberin von Märchenbüchern bekannt ist. Aus der Perspektive von Kindern erzählt der Ausschnitt vom Alltag zur Zeit des Nationalsozialismus, von Nahrungsmittelknappheit und ihren Folgen sowie von Freundschaft in schweren Zeiten, wie sie viele Familien in den Dreißigerjahren durchlebten. Tetzners Bücher landeten auf der Liste und im Feuer, weil ihr Mann, der auch als Kurt Held bekannte Autor Kurt Kläber, aufgrund seiner politischen Ansichten ins Visier der Nationalsozialisten geriet.

Das Ehepaar floh und überlebte. Im Exil nahm sich Kläber seine Frau zum Vorbild und schrieb den erfolgreichen Kinderroman "Die rote Zora und ihre Bande". Abgesehen von den vielfachen Verfilmungen und Vertonungen seines Buchs, muss man sich in der Gröbenzeller Bücherei nur kurz umsehen, um sicherzugehen, dass auch dieser Text den Nationalsozialismus überstanden hat: Im Regal gleich neben den Vorlesern steht eine Ausgabe der "Roten Zora".

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