Süddeutsche Zeitung

Landrat:"Das Infektionsgeschehen ist insgesamt diffus"

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Landrat Thomas Karmasin verteidigt im SZ-Interview den Wechselunterricht, weil dadurch die Schulen offen gehalten werden könnten. Ansammlungen von Schülerinnen und Schülern sollten seiner Meinung nach ausgedünnt werden

Interview von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Schüler im Landkreis erhalten wegen steigender Corona-Zahlen seit zehn Tagen Unterricht im Wechsel: in der Schule und zu Hause. Viele Eltern äußeren ihren Unmut. Landrat Thomas Karmasin (CSU) nimmt dazu Stellung.

SZ: Viele Eltern empören sich, dass ihre Kinder teilweise wieder im Homeschooling unterrichtet werden, obwohl man die Schulen offen halten wollte. Wie erklären Sie den Eltern die Anordnungen des Landratsamtes?

Thomas Karmasin: Das partielle Homeschooling erfolgt nicht obwohl, sondern weil wir die Schulen offen halten wollen. Wir haben im Landkreis sehr hohe Infektionszahlen, sind sogar deutlich über dem Inzidenzwert von 100, der auf der Corona-ampel Stufe dunkelrot auslöst. Das Infektionsgeschehen ist insgesamt diffus, erstreckt sich aber in breiter Front gerade auch auf die Schulen. In dieser Situation müssen wir neben vielen anderen Ansammlungen von Menschen auch die Ansammlungen von Schülerinnen und Schülern ausdünnen.

Fürstenfeldbruck ist offenbar der einzige Landkreis in Oberbayern, der den Wechsel zwischen Präsenz- und Distanzunterricht angeordnet hat. Dabei gibt es keinen Automatismus, der besagt, dass bei Überschreiten des Schwellenwerts die nächsthöhere Stufe des Rahmenhygieneplans eintreten muss. Warum nutzen Sie diesen Spielraum zugunsten der Kinder nicht?

Der Hygienerahmenplan sieht diese Maßnahmen ab einer Inzidenzzahl von 50 vor. Richtig ist, dass das kein Automatismus ist. Wir sehen, dass Landkreise ab einer Inzidenz von gut 200 in den völligen Lockdown gehen, also auch die Schulen komplett schließen. Meine Frage: Wenn 50 zu wenig sind, 135 - wie bei uns - noch immer zu wenig, 200 aber zu viel, weil dann geschlossen ist, für welche Inzidenzwerte soll die Stufe drei denn gedacht sein?

Sind denn Schulen und Kitas im Landkreis Pandemietreiber?

Ich würde nicht sagen, dass sie Pandemietreiber sind. Bei uns sind Pandemietreiber aber überhaupt nicht feststellbar, eben weil das Geschehen diffus ist. Es ist aber auch nicht so, dass sie wenig oder gar nicht betroffen wären. Konkret, also Stand Mittwoch, haben wir über 20 weiterführende Schulen, neun Grundschulen und 17 Kitas, die von Infektionsfällen zum Teil mehrfach betroffen sind. Rächt es sich jetzt, dass Schulklassen zu groß und Klassenzimmer zu klein sind?

Die Raumprogramme und Klassengrößen sind Sache der Schulverwaltung, nicht des Landkreises. Ich selbst war am Max-Born-Gymnasium in einer Klasse mit 44 Schülern. Soweit ich weiß, sind die Klassenzimmer seither nicht verkleinert worden, die Klassenstärken aber schon. Ich denke, im Normalbetrieb müsste das gut machbar sein. Für Pandemiebedingungen sind die meisten Einrichtungen nicht ausgelegt, auch nicht die Schulen.

Warum wurden nicht während der Sommerferien Raumluftfilter oder Lüftungsanlagen in den Klassenräumen installiert, um eventuell besser vorbereitet zu sein?

Der Freistaat Bayern fördert neuerdings solche Anlagen, aber natürlich nur für solche Räume, die nicht über die großartige Erfindung eines Fensters verfügen, das geöffnet werden kann. Die Begeisterung unserer Schulfamilien war diesbezüglich übrigens nicht groß. Sowohl die Erkenntnisse der Expertengespräche des KMK Fachgesprächs "Lüften in Schulräumen" im rheinland-pfälzischen Ministerium für Bildung vom September als auch das Umweltbundesamt halten Lüften für ausreichend und raten vom Einsatz mobiler Luftreiniger eher ab, weil sie auch gesundheitliche Risiken mit sich bringen können. Den Mindestabstand ersetzen sie auch nicht.

Werden die Maßnahmen auch über den 30. Oktober hinaus gelten?

Das können wir im Moment noch nicht sagen, weil wir weder die Lage kennen, die dann vorherrscht, noch evaluieren können, ob unsere Maßnahmen wirksam sind. Der Entscheidungsprozess läuft, und wir werden so früh wie möglich informieren.

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Quelle:
SZ vom 29.10.2020
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