Süddeutsche Zeitung

Landkreis:Wie öko ist eigentlich Ökostrom?

Eine Diskussion unter Kreisräten offenbart, dass manche Entscheidung auch als zukunftsweisende Geste gemeint ist

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Was ist Ökostrom? Klingt klimafreundlich und umweltpolitisch vernünftig. Die Nachfrage nach Ökostrom sei in den vergangenen Jahren stetig gestiegen, heißt es in einer Marktanalyse des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2018. Der Begriff Ökostrom ist allerdings nicht geschützt. Er wisse nur, "dass es gut ist, wenn man Ökostrom bezieht", gestand jüngst Landrat Thomas Karmasin (CSU) Wissenslücken ein, als sich der Energieausschuss des Kreistags und der Kreisausschuss damit beschäftigten.

Eigentlich sollte nur die neue Ausschreibung zum Bezug von 100 Prozent Ökostrom für die kreiseigenen Liegenschaften auf den Weg gebracht werden, wofür sich beide Ausschüsse gegen die Stimme der AfD aussprachen, die zuvor beantragt hatte, auf Ökostrom zu verzichten. Derzeit bezieht der Landkreis 100 Prozent Ökostrom von vier Stromanbietern: Stadtwerke Fürstenfeldbruck, Strom Germering, Energie Südbayern und Komm-Energie. Die aktuellen Verträge laufen zum Jahresende aus, weshalb der Auftrag neu - und wegen der Größenordnung europaweit - ausgeschrieben werden muss. Der Gesamtauftragswert liegt bei 1,4 Millionen Euro pro Jahr. Um auch kleineren Bietern die Chance zu geben, sich um einen Teil des Gesamtauftrags zu bewerben, wird der Auftrag in mehrere Einzellose aufgeteilt. Zur Auflage für den Ökostrom teilt die Kreisverwaltung mit, dass er zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien stammen müsse, was durch entsprechende Zertifikate nachzuweisen sei.

"Sie wissen schon, dass das nur 50 Prozent Ökostrom ist, und Sie gar nicht unterscheiden können, ob Sie Ökostrom oder Normalstrom beziehen", begründete Rolf Ertel den Antrag der AfD. Die Kreisräte der übrigen Fraktionen waren sich jedoch einig, am Ökostrom festhalten zu wollen, räumten allerdings Unzulänglichkeiten ein. Dass "der sogenannte Ökostrom noch nicht das Gelbe vom Ei ist", wusste auch Grünen-Kreisrat Martin Runge. So sei bei "zwei unserer Lieferanten das, was als Ökostrom verkauft wird, abgeschriebene Wasserkraft". Gottfried Obermair (Freie Wähler) pflichtete dem Grünen bei: "Da ist alles richtig gesagt." Man müsse zwischen "physikalischem Strom und dem, der an der Leipziger Börse gekauft wird, unterscheiden".

Dass "Ökostromtarife oft gar nicht bei der Energiewende helfen", darauf weisen die Verbraucherzentralen auf ihren Internetseiten hin. Viele Ökostromtarife hätten keinen zusätzlichen Klimanutzen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien werde vor allem über die EEG-Umlage realisiert, die jeder Stromverbraucher über die Stromrechnung bezahlen müsse, heißt es dort weiter. Die Umlage liegt derzeit bei 6,76 Cent pro Kilowattstunde und macht laut Monitoringbericht 2018 von Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt fast ein Viertel des Strompreises aus. Man habe vor 20 Jahren im Landkreis erkannt, dass Maßnahmen zum Klimaschutz und "hin zu erneuerbaren Energien" notwendig seien, betonte Max Keil (ÖDP) und wandte sich damit zuvorderst an "die neuen Kollegen". Deshalb sei es "logisch, dass der Landkreis selbst bei seinen Liegenschaften in Richtung Ökostrom geht". Es gehe darum, im Rahmen des Klimaschutzes Produktionsverfahren zu unterstützen, die klimaneutral sind - unabhängig, ob das mehr kostet", befand Jan Halbauer (Grüne). Christian Holdt (ÖDP) wies darauf hin, dass die Kommunen künftig mit Strafzahlungen belegt würden, wenn sie ihre Klimaziele verfehlten: Es "wäre völlig rückwärtsgewandt", wenn man der Entwicklung "wegen ein paar Euro den Rücken kehren würde". Und es "wäre auch eine fatale Gestik der Bevölkerung gegenüber", befand Jakob Drexler (UBV).

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4926803
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.06.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.