Süddeutsche Zeitung

Corona:Familien leiden unter Auflagen

Spagat zwischen Kinderbetreuung und Beruf: Eine Mutter aus Gröbenzell und ein Vater aus Alling berichten, wie es ihnen gerade geht. Von der Politik fühlen sie sich im Stich gelassen

Von Andreas Ostermeier, Fürstenfeldbruck

Kindergartenkinder in Quarantäne, Schüler, die nur jeden zweiten Tag Unterricht haben, Jobs, die kein Home-Office zulassen: Viele Eltern wissen nicht mehr, wie sie die beruflichen Anforderungen und die Corona-Maßnahmen unter einen Hut bringen sollen. Eine Mutter und ein Vater aus dem Landkreis schildern, wie sie die vom Landratsamt erlassenen Vorgaben sich auf sie und das Leben ihrer Familien auswirken. Und sie fordern, dass sich die Politiker in Kommunen, Land und Bund ihrer Probleme annehmen.

Die Kinder und die Familien werden in der Pandemie vergessen. Das ist der Eindruck einer Mutter, ihr Vorname ist Julia, aus Gröbenzell. Der Zeitung berichtet sie, dass beide Kinder von den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie betroffen sind. Das ältere Kind geht in die zweite Klasse. Unterricht ist am Dienstag und Mittwoch sowie jeden zweiten Freitag. In den Hort kann das Kind nur an den Schultagen. Das bedeutet, ein Elternteil muss rechnerisch an jedem zweiten Arbeitstag zu Hause sein. Ebenso verhält es sich mit dem zweiten Kind. Denn auch der Kindergarten hat für dieses nur montags und dienstags sowie jeden zweiten Freitag offen. Der Vater muss an seinen Arbeitsplatz fahren, nach Hause kann er seine Tätigkeiten nicht verlegen. Die Mutter ist selbständig, hat eine Modemarke und einen Laden in München. In dem muss sie Kleidung verkaufen, sonst kann sie die Miete nicht bezahlen. Was also soll sie tun?

Besonders erbittert sie, dass es nur die Auflagen für einen Inzidenzwert von mehr als 50 sind, die ihr die beschriebenen Probleme bescheren. Denn weder an der Schule des älteren Kindes, noch im Kindergarten des jüngeren habe es einen Corona-Fall gegeben, wie sie schreibt. Diese Auflagen kritisiert auch Manuel Rohrsdorfer, ein Vater aus Alling. Zwei seiner Kinder, 14 und acht Jahre alt, sind von Quarantäne betroffen, weil es in ihren Klassen je ein positiv getestetes Kind gibt. Sämtliche andere Mitschüler sowie seine beiden Kinder seien allesamt negativ auf das Coronavirus getestet worden, schreibt Rohrsdorfer. Dennoch müssen sie 14 Tage zu Hause bleiben und dürfen sich maximal im eigenen Garten bewegen. Auch weitere negative Tests würden an der Quarantäne nichts ändern, schreibt der Vater - ganz anders als bei Erwachsenen, die unter bestimmten Voraussetzungen durch einen zweiten negativen Test die Quarantäne abbrechen können. Bereits im Frühjahr seien Schulkinder und ihre Eltern mehr als jede andere Gruppe in der Gesellschaft von den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung belastet worden, kritisiert er.

52 neue Ansteckungen

Das Gesundheitsamt hat am Dienstag 52 neue Corona-Infektionen im Landkreis verzeichnet. Die Inzidenzzahl steigt auf 110,91. Diese Zahl ist vom Gesundheitsamt in Fürstenfeldbruck errechnet worden, offiziell gilt die vom Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit errechnete Zahl. Die Gesamtzahl aller seit Beginn der Pandemie infizierten Personen mit Wohnsitz im Landkreis beträgt 1791. Zu den neu gemeldeten Fällen gehören auch Schülerinnen und Schüler, so aus der Grund- und Mittelschule Nord in Fürstenfeldbruck, dem Graf-Rasso- und dem Viscardi-Gymnasium sowie der Berufsschule. In Germering ist das Carl-Spitzweg-Gymnasium betroffen, in Puchheim ebenso das Gymnasium. Was die Kindertagesstätten angeht, sind fünf weitere Einrichtungen neu von Corona-Fällen betroffen. Damit wurden laut Landratsamt seit 14. Oktober für mindestens zwölf Kitas Quarantänemaßnahmen angeordnet. ano

Und Rohrsdorfer fragt, was Schüler dabei lernen sollen, wenn sie sich an die Vorgaben halten und alles richtig machen, aber dennoch bestraft werden. Sie tragen Mund-Nasen-Schutz, halten Abstand und sitzen in kalten, weil durchgelüfteten Klassenzimmern. Infiziert sich einer von ihnen dennoch mit Corona, dürfen sie alle zwei Wochen lang ihre Freunde nicht sehen und das Haus nicht verlassen. Und alles, obwohl Kinder laut mehrerer Studien nicht als Pandemietreiber gelten, wie der Allinger schreibt. Der Vater fragt: "Wie viele Quarantäne-Phasen wird es während des Schuljahres noch geben?" Kinder, so ruft Rohrsdorfer den Politikern in Erinnerung, haben zudem ein Recht auf Bildung, das durch Quarantäne-Anordnungen eingeschränkt werde.

Grundsätzlich wird auch die Mutter aus Gröbenzell in ihrem Schreiben. "Wo bleibt die Gerechtigkeit", fragt sie. Kein Verantwortlicher denke an die Gruppe, die Kinder betreuen und den Lebensunterhalt verdienen müsse, schreibt sie. Und weiter: Die auferlegten Anforderungen und das Berufsleben seien nicht zu koordinieren, "nicht weil wir es nicht wollen, sondern weil die Rahmenbedingungen dies nicht zulassen". Sie fragt: "Wer sind die Menschen, die sich diese Tortur ausdenken, ohne die Folgen und die Zusammenhänge zu durchleuchten?"

Ähnliche Kritik an den Maßnahmen im Landkreis Fürstenfeldbruck kommt auch vom gemeinsamen Elternbeirat der Grund- und Mittelschulen. Es werde "nonchalant" freitags entschieden, das am Montag nur noch die Hälfte der Schüler in die Schule kommen dürfe, heißt es in einem Schreiben. Eine sehr große Anzahl von Eltern könne so kurzfristig nicht reagieren und eine Betreuung zu Hause organisieren. Zudem haben viele keine Zeit mehr fürs Ersatzlehrersein, weil ihre Urlaubstage aufgebraucht sind - auch wegen des Lockdowns im Frühjahr. Deshalb solle das Landratsamt die verhängte Stufe drei für Schulen und Kindertagesstätten zurücknehmen, lautet eine Forderung des gemeinsamen Elternbeirats: "Wir sind der Ansicht, dass der Betrieb an Kindertagesstätten und Schulen nach Vorgaben der Stufe zwei für alle Kinder weiterlaufen kann und soll." Die Anti-Corona-Maßnahmen für Schulen und Kitas sind in Stufen eingeteilt. Stufe drei bestimmt, dass in einem Klassenzimmer nur so viele Kinder sitzen dürfen, wie es der Mindestabstand von 1,50 Meter zulässt. Das bedeutet, dass in zahlreichen Schulen nur ein Teil einer Klasse unterrichtet werden kann. Die Landeshauptstadt - gleichfalls mit einem Inzidenzwert von über 50 - belässt es für die Schulen bei Stufe zwei. Das bedeutet, dass die Schüler im Unterricht Masken tragen müssen, allerdings nicht 1,50 Meter voneinander entfernt sein müssen.

Die Ausschussgemeinschaft von FDP, ÖDP und UBV im Kreistag kritisiert die Anordnung der Stufe drei durch den Landrat nicht. Allerdings, so schreibt FDP-Kreisrat Ulrich Bode, müssten die Folgen der Anordnung abgemildert werden. Deshalb fordert die Ausschussgemeinschaft die Einrichtung von Notbetreuungen für alle Familien, die das nötig haben. Der Landkreis solle aus diesem Grund Räume in Bürgerhäusern, Ämtern oder Hotels anmieten und in diesen Räumen einen Online-Unterricht anbieten. Als Betreuerinnen und Betreuer der Schüler könnten nach Ansicht der Kreispolitiker von FDP, ÖDP und UBV Lehrkräfte aus der Volkshochschule, Mitarbeiter von Kommunen oder Lehramtsstudierende eingesetzt werden.

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Quelle:
SZ vom 21.10.2020
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