Süddeutsche Zeitung

Tattoo-Ausstellung:Es geht um Liebe, Angst, Verletzungen, Erinnerungen

Lesezeit: 3 min

Warum lassen sich Menschen tätowieren? Mit einer Tattoo-Ausstellung begibt sich der Jexhof im Landkreis Fürstenfeldbruck auf unbekanntes Terrain. Das Ergebnis ist nicht nur wunderbar anzusehen - sondern in vielen Momenten berührend.

Von Florian J. Haamann, Schöngeising

"Wer sich tätowieren lässt, ist entweder ein Verbrecher oder ein degenerierter Adeliger." Mit diesem Zitat des österreichischen Architekten Adolf Loos aus dem Jahr 1908 begrüßt Reinhard Jakob die Besucher am Bauernhofmuseum Jexhof zur wohl ungewöhnlichsten Ausstellung des Jahres. Ja, dieses Mal geht es unter dem Titel "Unter die Haut" tatsächlich um Tattoos, um die Geschichte dieser Jahrtausende alten Kulturtechnik - und die, nicht erst seit der Zeit von Loos, bestehenden und bis heute andauernden Kontroversen darum. Vor allem aber um Menschen, die sich aus den verschiedensten Gründen, dazu entschieden haben, sich Tinte unter die Haut stechen zu lassen.

Etwa 30 Menschen, viele von ihnen aus dem Landkreis, zeigen in der Ausstellung ihre Tätowierungen und erzählen die dazugehörigen Geschichten von Liebe, Angst, Verletzungen, Erinnerungen. Dazu kommt im Zentrum ein Raum mit Videos, ebenfalls mit Interviews, aber auch popkulturellen Referenzen, wie dem Song "Tausend Tattoos" von Sido. Eine der vorgestellten Personen ist die 1967 geborene Fürstenfeldbruckerin Tina, die sich unter anderem die Liebesgeschichte mit ihrem Partner Christoph auf den linken Arm hat tätowieren lassen. Auf dem Unterarm finden sich ein Herz und ein Schloss, den passenden Schlüssel hat sich Christoph auf den rechten Unterarm stechen lassen. Auf Tinas Oberarm sind die beiden tanzend in ihrer Hochzeitskleidung verewigt, ein Totenschädel erinnert an den Schwur "bis dass der Tod euch scheidet".

Zwei Dinge machen diese Ausstellung besonders eindrucksvoll. Zum einen, dass es dem Team um Museumsleiter Reinhard Jakob gelungen ist, Menschen aus allen Alters- und Bevölkerungsgruppen zu gewinnen, von der Kommunalpolitikern über den Landwirt bis hin zu einer Olchinger Familie, in der alle tätowiert sind. Und zum anderen, dass all diese Menschen den Mut und das Vertrauen haben, ihre meist sehr persönlichen Geschichten sowie die Fotografien ihrer verzierten Körper mit den Besuchern zu teilen. Auch um zumindest einen Rest Anonymität zu ermöglichen, tauchen die Menschen in der Ausstellung meist nur mit ihren Vornamen, Geburtsjahr und Beruf auf.

So wie Landwirt Otto, dem gleich eine ganze Serie von Aufnahmen gewidmet ist. Das ist bei ihm aber auch nötig, schließlich trägt er ein Ganzkörper-Tattoo. Angefangen hat bei ihm alles mit einem kleinen Kreuz auf dem Arm im Jahr 1985. Über die Jahre ist sein Körper so zu einem eindrucksvollen Gesamtkunstwerk geworden, wie die Bilder deutlich machen. Mit einem der Bilder verdeckt er eine große Narbe im Bauch und Brustbereich. Auch das eine Erkenntnis dieser Ausstellung: immer wieder dienen Tattoos dazu, körperliche Verletzungen zu kaschieren. So wie beim 1993 geborenen Naim, der mit einem Mandala die Narbe der Operation nach einem Kreuzbandriss überdeckt. Tätowierungen können aber auch helfen, mit psychischen Wunden umzugehen. So wie die großen Porträts des Räubers Kneißl und des Schmieds von Kochel, beides Rebellen gegen die Obrigkeit, die die Oberschenkel von Gina zieren. Sie allerdings kämpft gegen einen inneren Feind, ihr "Bauchmonster Nelson", wie sie ihre Morbus-Crohn-Erkrankung nennt. Mit den großen Tattoos, will sie gleichzeitig ihre Verbindung zu Heimat und Brauchtum ausdrücken.

Eingebettet sind diese persönlichen Erzählungen in einen hochinteressant aufgebauten Überblick über die Geschichte des Tattoos, neben erklärenden Texten finden sich zahlreiche Fotos und Exponate, außerdem gibt ein Studioinhaber in einem Video einen Einblick in die Arbeit eines Tätowierers. Gleich zu Beginn der Ausstellung erfährt der Besucher, dass bereits Ötzi, die allseits bekannte Gletschermumie, die auf ein Alter von etwa 5300 Jahren geschätzt wird, einfache Strichmuster auf die Haut tätowiert hatte. Und auch hier gelingt es, die Ausstellung lokal zu verankern. Eine in einem Grab bei Gernlinden gefundene bronzezeitliche Nadel, die eine Tätowiernadel sein könnte, lässt vermuten, dass diese Kulturtechnik auch in der Region bereits in der Ur- und Frühgeschichte bekannt war.

Im 19. Jahrhundert kommt es dann zu einem wahren Tattoo-Boom, der sich von zwei Richtungen entwickelt, wie Museumsleiter Jakob in seiner Eröffnungsrede erklärt. Zum einen sind es die Kriminellen, angelehnt an die seit der Antike über das Mittelalter verwendeten Brandmarkungen, zum andere die Elite, bei der sich die Tradition aus religiösen Motiven entwickelt. Interessant ist dabei, dass die heute teilweise immer noch bestehenden Vorurteile gegenüber Tätowierten sich freilich aus dem ersten Strang nähren, während der zweite Strang weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Dabei, auch das eine Geschichte, die man in der Ausstellung erfährt, war sogar Kaiserin Sissi tätowiert.

Erinnert wird aber auch daran, wie Tätowierungen immer wieder missbraucht worden sind. So gehörte es zu Attraktionen auf Jahrmärkten, tätowierte Menschen vorzuführen. Und ein Interview mit Max Mannheimer erinnert daran, wie die Nationalsozialisten die Häftlinge in den Konzentrationslager mit den in den Arm gestochenen Nummern entindividualisiert haben.

Besonders ist diese Ausstellung nicht nur wegen ihres Themas und der Art der Präsentation, sondern auch, weil der Besucher quasi gemeinsam mit den Organisatoren auf Entdeckungsreise geht. Für sie war die Welt der Tattoos vorab weitestgehend unbekanntes Terrain, das sie mit Neugier bis in alle Winkel erkundet haben. Sie quasi dabei begleiten und ihnen über die Schulter schauen zu dürfen, ist eine große Freude!

"Unter die Haut. Eine regionale Geschichte der Tattoos", Bauernhofmuseum Jexhof, zu sehen bis zum 5. Februar 2023, dienstags bis samstags von 13 bis 17 Uhr und sonntags und an Feiertagen von 11 bis 18 Uhr

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