Kunstwerk zu Wasser:Besuch der Melusine

Ampernixe

100 Tage wird das Kunstwerk im Wasser beim Kraftwerk schwimmen.

(Foto: Günther Reger)

In der Amper bei Schöngeising lässt der Künstler Ulrich Nußmann seine Nixe schwimmen. Auch ein Buch hat er ihr gewidmet

Von Valentina Finger, Schöngeising

Gewöhnlich sei er nicht so gewandt beim Ausziehen schöner Frauen, sagt Thomas Totzauer. Man mag es dem Schöngeisinger Bürgermeister kaum glauben, denn er braucht bloß wenige Anläufe, um die neue Anwohnerin vor den etwa 30 Zuschauern zu enthüllen. Ein paar Züge am Seil, ein paar Gong-Klänge dazu und schon schwimmt die Wassernixe Melusine für jeden sichtbar in der Amper neben dem Schöngeisinger Kraftwerk.

Vor etwa einem Jahr hat der ebenfalls in Schöngeising lebende Künstler Ulrich Nußmann die Holzfigur gefertigt. Damals hatte sie jedoch nur einen kurzen Auftritt: Nußmann setzte sie ins Wasser und nahm sie dann wieder mit. Danach sollte sie eigentlich den ausrangierten Ammerseedampfer "Alte Utting" auf der Sendlinger Brücke in München zieren. Doch Nußmann wurde mit den Verantwortlichen nicht handelseins. "Dort wäre sie in der Gerümpelkammer gelandet und dafür ist sie mir zu schade", sagt er.

Also landete sie in einer anderen Gerümpelkammer - in Nußmanns eigener Garage. Nun bleibt sie aber erst einmal bis Ende Oktober in der Amper. Dort hat der Künstler, der in der Vergangenheit zum Erscheinungsbild Schöngeisings bereits Werke wie die "Krachmaschine" am Klangweg und die "Windbraut" am Zellhof beigesteuert hat, oben am Ufer auf alten Autoreifen und Metallstelen zusätzlich eine Apparatur errichtet. Sie besteht aus einem Gästebuch und einer Luke mit einem Warnhinweis für Männer, sich nicht, wie ihre Vorgänger aus populären Legenden, von der Schönheit des Wesens einlullen zu lassen.

Der Anlass für die erneute Präsentation der Nixe ist ein Märchen, das Nußmann im Laufe des vergangenen Jahres geschrieben und nun im Eigenverlag publiziert hat. Herausgekommen ist ein kleines blaues Büchlein, in Schöngeising illustriert, gelayoutet und gedruckt, mit dem Titel "Die Ampernixe Melusine". Die meisten Geschichten um die mittelalterliche Sagenfigur funktionieren nach demselben Schema: Melusine heiratet einen Ritter, dem die Ehe Ruhm und Reichtum bringt, bis er die zuvor auferlegte Bedingung bricht, sie nie in ihrer wahren Gestalt, halb Fisch, halb Frau, anzuschauen.

Auch Nußmanns Melusine ist ein Mischwesen. Seine Geschichte geht aber anders: Die eigentlich im Ammersee beheimatete Nixe macht sich auf den Wasserweg nach München, wird allerdings von dem Rechen des Kraftwerks aufgehalten und pausiert deswegen, zunächst unfreiwillig, in Schöngeising, wo sie viel Neues kennenlernt und sich nach und nach einlebt.

Wer Schöngeising kennt und das Märchen liest, wird darin viel Vertrautes entdecken. Bei Melusines Gasteltern klingelt der Eiermann, sie hört die Proben aus der Musikschule und überhört den Postboten, da der neuerdings mit einem lautlosen Elektroauto kommt. Auf ihren Spaziergängen erkundet Melusine unter anderem die Bäckerei, die Bauernhöfe, den Kindergarten, den Friseur, den Dorfladen und mehrere Handwerkerbetriebe. Als sie immer weitere Kreise zieht, lässt sie sich das neue Gewerbegebiet zeigen und erfährt, dass es in der Staudengärtnerei am Ortsrand eine Rose gibt, die genauso heißt wie sie.

"Das Märchen ist im Grunde auch eine Darstellung von Schöngeising in den Jahren 2018 und 2019", sagt der 70-jährige Künstler, der gelernter Feinmechaniker ist und an der Berufsschule vor seiner Pensionierung auch Deutsch unterrichtet hat. Einblicke in die politische Situation bleiben dabei nicht aus. In Schöngeising ist Melusine Migrantin. Anfangs von ein paar Buben gefangen, dient ein Brunnen als temporäres Ankerzentrum bis sich der Asylhelferkreis ihrer annimmt. Los geht der bürokratische Hürdenlauf, als sie, die Fremde ohne Papiere, einen Wohnsitz im örtlichen Wasser beantragen möchte.

Nußmann reflektiert hier auch seine eigenen Anstrengungen, die er in einem langwierigen Prozedere unternehmen musste, um seine Melusine in die Amper zu bekommen. Das Landratsamt musste die Aktion genehmigen, Wasserwirtschaftsrechte, Naturschutz- und Eigentümerbelange mussten berücksichtigt werden. Dass am Ende doch noch alles geklappt hat, freut Bürgermeister Totzauer - obwohl von der Neubürgerin wohl eher keine zusätzlichen Steuereinnahmen zu erhoffen seien.

Wenn auch im Scherz gesagt, ist das so allerdings nicht ganz richtig: Teilt man die Verwaltungsgebühren auf die gesamte Badezeit der Melusine auf, zahlt ihr Gastvater Nußmann für den Wasserplatz seiner Nixe etwa fünf Euro pro Tag an das Landratsamt. Deshalb ist nach 100 Tagen auch erst einmal wieder Schluss mit Baden.

Das Märchenbuch "Die Ampernixe Melusine" von Ulrich Nußmann ist in Schöngeising unter anderem bei der Bäckerei Eider, beim Friseursalon Nina Berk und im Dorfladen für sechs Euro erhältlich

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